Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
Vom Netzwerk:
geballten Hände, um die Kälte zu vertreiben. Aber es ist so schwer, sie zu wärmen, wenn die Seelen noch vor Kälte beben. Gott.
    Immer sage ich diesen Namen, wenn ich daran denke. Gott.
    Zwei Mal spreche ich ihn aus.
    Ich sage Seinen Namen in dem vergeblichen Versuch zu verstehen. »Aber es ist nicht deine Aufgabe zu verstehen.« Ich bin es selbst, der mir antwortet. Gott sagt niemals etwas. Glaubt ihr vielleicht, ihr seid die Einzigen, die nie eine Antwort von ihm bekommen? »Deine Aufgabe ist es...« Und dann höre ich mir nicht mehr länger zu, denn ehrlich gesagt langweile ich mich selbst. Wenn ich anfange, so zu denken, bin ich schnell erschöpft, und den Luxus, Ermüdungserscheinungen nachzugeben, kann ich mir nicht leisten. Ich bin gezwungen weiterzumachen, denn obwohl es nicht auf jeden Menschen auf Erden zutrifft, so doch auf die allermeisten: Der Tod wartet auf niemanden. Und wenn er es doch tut, wartet er nicht lange.
    Am 23. Juni 1942 saß eine Gruppe französischer Juden in einem deutschen Gefängnis auf polnischem Boden. Die erste Person, die ich mir nahm, befand sich nahe an der Tür. Die Gedanken rasten, dann schlenderten sie, dann taumelten sie, langsam, langsamer ...
    Glaubt mir, wenn ich euch sage, dass ich an diesem Tag jede Seele aufhob, als wäre sie neugeboren. Ich küsste sogar ein paar erschöpfte, vergiftete Wangen. Ich lauschte ihren letzten, erstickten Schreien. Ihren verschwindenden Worten. Ich betrachtete ihre Visionen von Liebe und befreite sie von ihrer Angst.
    Ich nahm sie alle mit, und wenn es jemals eine Zeit gab, in der ich der Ablenkung bedurfte, so war es diese. In vollkommener Verlassenheit schaute ich in die Welt da oben. Ich sah den Himmel, der sich von Silber zu Grau wandelte und dann die Farbe des Regens annahm. Sogar die Wolken flohen von diesem Ort.
    Manchmal stellte ich mir vor, wie es über diesen Wolken aussah. Ich wusste ohne Zweifel, dass die Sonne blond war und die endlose Atmosphäre ein einziges, riesiges blaues Auge.
    TEIL 7
    DUDEN BEDEUTUNGS WÖRTERBUCH
    Es wirken mit:
    Champagner und Akkordeon - eine Trilogie - Sirenen - ein Himmelsdieb -lange Marsch nach Dachau - Frieden - ein Idiot und ein paar Mantelmänner
    champagner und akkordeon
    Im Sommer 1942 bereitete sich Molching auf das Unausweichliche vor. Es gab immer noch Menschen, die sich weigerten zu glauben, dass diese kleine Stadt am Rande von München als Ziel dienen könnte, aber die Mehrzahl der Bewohner hatte daran keinen Zweifel mehr. Die einzige Frage war: Wann? Luftschutzräume wurden deutlicher kenntlich gemacht, Fenster nachts verdunkelt, und jeder wusste, wo sich der nächste Keller befand.
    Für Hans Hubermann bedeutete diese beunruhigende Entwicklung allerdings eine gewisse Erleichterung. In einer unglücklichen Zeit hatte irgendwie das Glück wieder zu ihm gefunden, zumindest was seine Arbeit betraf. Leute, die Jalousien an den Fenstern hatten, kamen zu ihm, damit er sie schwarz anmale. Sein Problem war, dass schwarze Farbe normalerweise nur benutzt wurde, um andere Farben abzudunkeln, und schon bald war sie gänzlich ausverkauft. Aber er war ein guter Handwerker, und ein guter Handwerker hat immer einen Trick parat. Er nahm Kohlestaub und rührte ihn in die Farbe, und er machte den Leuten gute Preise. In vielen Häusern in allen Teilen von Molching verbarg er das Fensterlicht vor den Augen des Feindes.
    Manchmal ging Liesel mit ihm.
    Sie karrten die Farbtöpfe durch die Stadt, rochen in einigen Straßen den Hunger und schüttelten in anderen die Köpfe angesichts des Reichtums. Wenn sie auf dem Heimweg waren, kamen manchmal Frauen aus den Häusern gerannt, denen nichts als ihre Kinder geblieben war, und flehten ihn an, ihre Jalousien schwarz anzumalen.
    »Frau Halla, tut mir leid, ich habe keine schwarze Farbe mehr«, sagte er dann, aber nach nur ein paar Schritten kehrte er um. Er war ein großer Mann, der auf einer langen Straße stand. »Morgen«, versprach er, »gleich als Erstes«, und als der nächste Morgen dämmerte, war er da und strich die Jalousien umsonst an, für einen Keks oder eine Tasse Kaffee. Am Abend zuvor hatte er wieder eine Möglichkeit gefunden, blaue oder grüne oder gelbe Farbe in Schwarz zu verwandeln. Niemals wimmelte er die Menschen ab, indem er ihnen erklärte, dass sie ihre Fenster mit Decken verhängen sollten, denn er wusste, sie würden sie brauchen, wenn der Winter käme. Man behauptete sogar, dass er Jalousien für eine halbe Zigarette anmalte, die er sich,

Weitere Kostenlose Bücher