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Die Bücherdiebin

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Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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Körper hochzustemmen, war unerträglich. Sie gaben noch ein Mal unter ihm nach, ehe er sich aufrichten konnte und ein weiteres Häuflein Schritte unternahm.
    Er war tot.
    Der Mann war tot.
    Gebt ihm noch fünf Minuten, und er würde in einen deutschen Rinnstein fallen und sterben. Sie würden es zulassen, und sie würden dabei zusehen.
    Dann, ein Mensch. Hans Hubermann.
    Es geschah so schnell.
    Die Hand, die ihre so fest gehalten hatte, löste sich, als der Mann sich zu ihnen kämpfte. Sie fühlte ihre Handfläche auf die Hüfte klatschen.
    Papa griff in seinen Karren und holte etwas heraus. Er bahnte sich einen Weg durch die Zuschauer auf die Straße.
    Der Jude stand vor ihm und erwartete eine weitere Handvoll Spott, aber er und alle anderen auch sahen, dass Hans Hubermann die Hand ausstreckte und ihm ein Stück Brot darbot. Ein Wunder.
    Das Brot wurde von einer Hand zur anderen gereicht, und dann sank der Jude nieder. Er fiel auf die Knie und umklammerte Papas Schienbeine. Er vergrub das Gesicht zwischen ihnen und dankte ihm.
    Liesel schaute zu.
    Mit Tränen in den Augen sah sie, wie der Mann weiter nach unten rutschte und Papa dabei zurückschob, um nun in seine Fußgelenke zu weinen.
    Andere Juden gingen vorbei; manche schauten auf dieses kleine, vergebliche Wunder. Sie strömten vorbei wie menschliches Wasser. An diesem Tag würden ein paar den Ozean erreichen. Eine weiße Krone erwartete sie dort.
    Ein Soldat watete durch die Menschen und hatte schon bald den Ort des Vergehens erreicht. Er betrachtete den knienden Mann und Papa und schaute dann die Menge an. Nach einer kurzen Überlegung nahm er die Peitsche von seinem Gürtel und fing an.
    Der Jude wurde sechs Mal gepeitscht. Auf den Rücken, auf den Kopf und auf die Beine. »Du Abschaum! Du Schwein!« Blut rann ihm aus dem Ohr.
    Dann war Papa an der Reihe.
    Eine Hand hielt Liesel fest, und als sie voller Schrecken neben sich blickte, stand da Rudi Steiner und schluckte, während vor ihnen auf der Straße Hans Hubermann ausgepeitscht wurde. Das Geräusch verursachte ihr Übelkeit, und sie hatte Angst, dass auf dem Körper ihres Papas Risse aufplatzen würden. Er bekam vier Hiebe, dann ging auch er zu Boden.
    Als der ältere Jude ein letztes Mal aufstand und sich weiterschleppte, schaute er noch einmal kurz zurück. Er warf einen letzten, traurigen Blick auf den Mann, der jetzt selbst auf der Straße lag, auf dessen Rücken vier Feuerlinien brannten, dessen Knie sich schmerzhaft in den Asphalt bohrten. Aber wenigstens würde der alte Mann sterben wie ein Mensch. Oder zumindest mit dem Gedanken, dass er ein Mensch war.
    Was ich darüber denke?
    Ich bin mir nicht sicher, ob das gut war.
    Als Liesel und Rudi sich zu Hans durchgekämpft hatten und ihm auf die Beine halfen, waren sie in Stimmen gebadet. In Worte und Sonnenlicht. So blieb es Liesel im Gedächtnis. Das Licht funkelte auf der Straße, und die Worte brachen sich wie Wellen an ihrem Rücken. Erst als die drei weggehen wollten, bemerkten sie das Stück Brot, das verschmäht auf der Straße lag.
    Rudi wollte es aufh eben, aber ein vorbeigehender Jude riss es ihm aus der Hand, und zwei andere balgten sich mit ihm darum, während sie ihren Weg nach Dachau fortsetzten.
    Da liefen silbrige Augen über.
    Ein Karren wurde umgeworfen, und Farbe floss auf die Straße. Man nannte ihn einen Judenfreund.
    Andere schwiegen und halfen, ihn in Sicherheit zu bringen.
    Hans Hubermann hatte sich vorgebeugt und die Arme ausgestreckt. Mit den Händen stützte er sich an eine Hauswand. Er war mit einem Mal überwältigt von dem, was gerade geschehen war.
    Ein Bild tauchte auf, schnell und glühend.
    Himmelstraße 33 - der Keller.
    Panik verfing sich zwischen seinen rasselnden Atemzügen. Jetzt werden sie kommen. Jetzt werden sie kommen. O Herr Jesus, o Herr Jesus.
    Er schaute das Mädchen an und schloss die Augen.
    »Bist du verletzt, Papa?«
    Als Antwort kam eine Gegenfrage.
    »Was habe ich mir nur dabei gedacht?« Fest presste er die Augenlider zu und öffnete sie wieder. Sein Arbeitskittel war zerknittert. Überall an seinen Händen waren Farbe und Blut. Und Brotkrumen. Aber ganz anders als das Brot des Sommers. »O mein Gott, Liesel, was habe ich getan?«
    Ja.
    Ich kann es nicht leugnen.
    Was hatte Papa getan?
    friede
    Kurz nach elf Uhr in derselben Nacht ging Max Vandenburg durch die Himmelstraße, mit einem Koffer voller warmer Kleider und Lebensmittel.
    Deutsche Luft hing in seinen Lungen.
    Die gelben Sterne glühten,

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