Zwei Seelen - eine etwas andere Weihnachtsgeschichte (German Edition)
I.
23. Dezember
L isa wollte sich nicht streiten. Der Bummel über den Weihnachtsmarkt hatte sie in besinnliche Stimmung versetzt, und die würde sie sich auch durch die beunruhigende Mailboxnachricht nicht verderben lassen. Beschwichtigend legte sie Ben ihre Hand auf den Oberschenkel und packte das Handy zurück in ihre Tasche.
„Bei der stimmt doch nie was“, murmelte Ben, und Lisa presste verärgert die Lippen zusammen.
„Hör zu, wir fahren nur schnell bei Tanja vorbei, ich sehe nach, was eigentlich los ist, und dann geht’s ab nach Hause. Ich koche uns einen Tee, den wir dann gemütlich auf dem Sofa schlürfen und dabei Plätzchen futtern.“
„Klingt toll. Na gut, aber ich hab keine Lust, mir das Gejammer deiner Schwester anzuhören. Ich warte dann im Auto.“
Seufzend strich sich Lisa eine Locke unter ihre selbst gehäkelte Mütze zurück und verschränkte die Hände über ihrem Babybauch.
„Typisch. Du weißt schon, dass ich auch für deine Familie über meinen Schatten springe?! Da könntest du dir auch etwas Mühe geben.“
„In meiner Familie gibt es aber keine Junkies.“
„Nein, natürlich nicht! Gott bewahre!, dass einer von euch versnobten Anwälte jemals vom rechten Weg abkomme!“
„Es tut mir wirklich leid, dass ich nicht begeistert davon bin, wenn deine drogensüchtige Schwester und ihr krimineller Macker ihre Probleme immer auf dich abwälzen. Besonders jetzt, wo das Baby bald kommt.“
„Lass nicht wieder den Anwalt raushängen. Sie ist meine Schwester, und sie gibt sich wirklich Mühe, clean zu werden. Außerdem ist sie gar nicht mehr mit diesem Silvio zusammen!“
„Sie hätte sich erst gar nicht auf den Kerl einlassen sollen, dann hätte sie jetzt diese Probleme nicht.“
Diesen Punkt sah Lisa so wie Ben, darum wusste sie keine Erwiderung. Dennoch sah sie es einfach als ihre Pflicht an, Tanja zu helfen.
„Sie ist wie eines deiner Kindergartenkinder!“, schimpfte Ben weiter.
„Jetzt hör schon auf! Sie ist meine Schwester – ich kann nicht anders, als ihr zu helfen!“
Ben nickte.
„Ich weiß, du hast das größte Herz der Welt“, stöhnte er.
Immer noch schlecht gelaunt bog er in die Straße ein, in der Tanja ihre Wohnung hatte. Der Vorplatz vor dem Mehrfamilienhaus war hell beleuchtet, große Schneeberge waren seitlich der Eingangstür aufgehäuft. Der Weg war wie mit Puderzucker bestäubt und der dichte Schneefall überdeckte die wenigen Fußabdrücke darauf. Die weihnachtlichen Lichterketten in den Fenstern verbreiteten festliche Stimmung und Lisa freute sich auf Zuhause. Lebkuchen, eine heiße Tasse Tee und zusammen mit Ben auf dem Sofa kuscheln, während sie Sarahs erste Babymütze fertig häkelte. Aber das lief ihnen ja nicht davon. Sie würde nur kurz nachsehen, ob es Tanja gutging.
Ben parkte direkt vor der Tür.
„Also was? Soll ich mit?“, brummte er unwillig.
„Nein. Ich schaff’ das auch alleine“, schlug Lisa sein Angebot aus.
Vermutlich würde Tanja vor Ben ohnehin nicht mit der Sprache rausrücken. Lisa wickelte sich seinen Schal um den Hals, rückte ihre Mütze zurecht und stieg aus.
„Ich beeile mich“, versprach sie, ehe sie mit hochgezogenen Schultern durch das rege Schneetreiben zur Tür eilte.
Ihre nassen Schuhsohlen quietschten, als sie die ersten Stufen hinauf zur Wohnung ihrer Schwester stieg. Zwar gab es einen Aufzug, aber sie fand enge Räume irgendwie beklemmend. Tanja wohnte im zweiten Stock. Ohne zu zögern, steckte sie ihren Ersatzschlüssel ins Schloss und trat ein.
Das reinste Chaos! Ihrer Schwester musste es wirklich wieder schlechter gehen, wenn sie ihre Sachen überall am Boden verstreute, dachte Lisa.
Kopfschüttelnd stieg sie über Klamotten, Schuhe, Zeitungen und Kleinkram hinweg. Keine Spur von Weihnachtsdekoration. Lisa wollte gerade ins Wohnzimmer, als sie mit brutaler Wucht gegen die Wand geschleudert wurde. Ein lauter Knall drohte, ihren Kopf zu sprengen. Sie hörte die Luft aus ihrer Lunge entweichen, als sie zu Boden ging.
Das Bild vor ihren Augen verschwamm, Geräusche drangen nur dumpf an ihr Ohr. Zwei schwarze Schatten huschten über sie hinweg, ein frostiger Luftzug ließ sie zittern. Langsam hob sie die Hand auf ihren Bauch. Das Baby trat, aber Lisa spürte nur das klebrige, feuchte Blut zwischen ihren Fingern. Sie wollte schreien, um Hilfe rufen, aber kein Laut kam aus ihrem Mund. Sie kippte seitlich, konnte es nicht verhindern, sank auf den kalten
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