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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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eine angemessenere Lektüre vor.
    »Hör zu, Liesel.« Papa legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie weiter. »Das hier ist unse r Geheimnis, dieses Buch. Wir lesen es nachts oder im Keller, genau wie die anderen - aber du musst mir etwas versprechen.«
    »Alles, Papa.«
    Die Nacht war weich und still. Alles lauschte. »Wenn ich dich jemals bitte, ein Geheimnis zu bewahren, über etwas zu schweigen, wirst du es tun.«
    »Ich verspreche es.«
    »Gut. Los, gehen wir. Wenn wir noch später kommen, wird Mama uns umbringen, und das wollen wir doch nicht, oder? Und hör auf, Bücher zu stehlen, verstanden?«
    Liesel grinste.
    Sie erfuhr erst später, dass ihr Pflegevater in den nächsten Tagen Zigaretten gegen ein weiteres Buch eintauschte, doch dieses Buch war nicht für sie bestimmt. Er klopfte an die Tür des Molchinger NSDAP-Büros und erkundigte sich nach seinem Mitgliedsantrag. Hinterher gab er ihnen sein letztes Geld und ein Dutzend Zigaretten. Im Gegenzug erhielt er ein gebrauchtes Exemplar von Mein Kampf.
    »Viel Vergnügen beim Lesen«, sagte eines der Parteimitglieder.
    »Danke.« Hans nickte.
    Von der Straße aus konnte er die Männer drinnen reden hören. Eine der Stimmen war besonders deutlich. »Er wird nie aufgenommen werden«, sagte sie, »auch wenn er hundert Mal Mein Kampf k auft.« Die Aussage wurde einstimmig bekräftigt.
    Hans hielt das Buch in der Rechten und dachte an Geld für Briefmarken, ein Leben ohne Zigaretten und an seine Pflegetochter, die ihm diese brillante Idee beschert hatte.
    »Danke«, wiederholte er. Ein Passant fragte ihn, was er gesagt habe.
    Mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit erklärte Hans: »Nichts, guter Mann, gar nichts. Heil Hitler.« Und damit ging er die Münchener Straße entlang, die Seiten des Führers fest im Griff.
    Einen Moment lang gerieten seine Gefühle nicht unerheblich durcheinander, denn Hans Hubermanns Idee hatte ihren Ursprung nicht nur in Liesels Verhalten, sondern auch in den Worten seines Sohnes. Befürchtete er bereits, ihn nicht wiederzusehen? Auf der anderen Seite genoss er die Begeisterung, die seine Idee mit sich brachte, und wagte noch nicht, sich die Komplikationen, die Gefahren und bösartigen Zufälle vorzustellen, die ebenfalls damit einhergehen konnten. Im Augenblick genügte ihm die Idee. Sie war unzerstörbar. Sie Wirklichkeit werden zu lassen, nun, das war eine andere Sache. Für den Moment sollten wir ihm seine Freude lassen.
    Geben wir ihm sieben Monate.
    Dann schlagen wir los.
    Und wie wir losschlagen.
    die bibliothek des bürgermeisters
    Kein Zweifel: Etwas sehr Mächtiges kam auf die Himmelstraße 33 zu, etwas, wovon Liesel im Augenblick noch keine Ahnung hatte. Sie schlug sich mit einem anderen Problem herum.
    Sie hatte ein Buch gestohlen.
    Jemand hatte sie dabei beobachtet.
    Die Bücherdiebin handelte. Angemessen.
    Jede Minute, jede Sekunde war von Angst erfüllt, besser gesagt von waschechter Paranoia. Kriminelle Handlungen haben diese Wirkung auf Menschen, besonders auf Kinder. Sie stellen sich die verschiedensten Szenarien vor, wie man ihnen auf die Schliche kommt. Dunkle Gestalten springen aus dunklen Gassen. Lehrer haben plötzlich Kenntnis über jede Sünde, die man jemals begangen hat. Die Polizei steht vor der Tür, jedes Mal, wenn ein Blatt Papier umgewendet wird oder in der Ferne ein Gartentor zuschlägt.
    Für Liesel wurde diese Paranoia selbst zur Strafe, genauso wie die Angst davor, wieder Wäsche zum Haus des Bürgermeisters bringen zu müssen. So war es nicht verwunderlich - weder für euch noch für mich -, dass sie bei ihrem nächsten Gang durch Molching, bewaffnet mit dem Wäschesack, das Haus in der Großen Straße geflissentlich übersah. Sie lieferte die saubere Wäsche bei der arthritischen Helena Schmidt ab und holte die Schmutzwäsche der katzenvernarrten Weingartners. Das Haus des Bürgermeisters Heinz Hermann und seiner Frau Ilsa überging sie.
    Beim ersten Mal erklärte sie, dass sie einfach nicht mehr an den Bürgermeister gedacht und sein Haus vergessen hätte - eine armselige Ausrede, prangte das Haus doch auf dem Hügel, türmte sich geradezu hoch über der Stadt auf, und nicht daran zu denken war schlichtweg unmöglich. Als sie noch einmal hingehen musste und wieder unverrichteter Dinge zurückkam, log sie, dass niemand zu Hause gewesen sei.
    »Niemand zu Hause?« Mama war skeptisch. Die Skepsis erweckte in ihr das Verlangen, nach dem Holzlöffel zu greifen. Sie wedelte Liesel damit vor der Nase

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