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Die Bücherdiebin

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Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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    Erik Vandenburg und Hans Hubermann wechselten einen Blick. Wenn jetzt jemand vortrat, würde ihm seine Einheit später das Leben zur Hölle machen. Niemand schätzte einen Feigling. Andererseits, wenn einer einen anderen vorschlug ...
    Immer noch meldete sich niemand, aber eine Stimme trat heraus und schlenderte auf den Feldwebel zu. Sie blieb vor seinen Stiefeln hocken und wartete auf einen kräftigen Fußtritt. Sie sagte: »Der Hubermann, Herr Feldwebel.« Die Stimme gehörte Erik Vandenburg. Er glaubte ganz offensichtlich, dass für seinen Freund noch nicht der Tag gekommen sei, um zu sterben.
    Der Feldwebel schritt durch das Spalier aus Soldaten.
    »Wer war das?«
    Er war ein hervorragender Schreiter, dieser Stephan Schneider - ein klein gewachsener Mann, der alles in Eile tat, egal ob er sprach, sich bewegte oder handelte. Während er zwischen den beiden Reihen aus Soldaten auf und ab ging, schaute Hans geradeaus und wartete darauf, dass Schneider verkündete, um was es ging. Vielleicht war eine der Krankenschwestern unpässlich, und man brauchte jemanden, der die entzündeten Wunden verletzter Soldaten neu verband.
    Oder aber es warteten Tausende von Briefumschlägen darauf, abgeleckt zu werden, damit sie Todesnachrichten nach Hause tragen konnten.
    In diesem Moment wurde die Stimme noch einmal nach vorne getragen und zog ein paar weitere mit sich. »Der Hubermann«, ertönte ein vielfältiges Echo. Erik fügte sogar hinzu: »Tadellose Handschrift, Herr Feldwebel, tadellos.«
    »Dann ist es also abgemacht.« Ein schmales, rundes Grinsen. »Hubermann, Sie sind mein Mann.«
    Der schlaksige junge Soldat trat vor und erkundigte sich, worin seine Pflicht bestehen werde.
    Der Feldwebel seufzte. »Der Hauptmann muss einigen Schriftverkehr erledigen, ein paar Dutzend Briefe, und er hat schlimmes Rheuma in den Fingern, oder Arthritis. Sie werden diese Briefe schreiben.«
    Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich zu beklagen, besonders wenn man bedenkt, dass Schlink die Toiletten hatte putzen und ein anderer Soldat, Pflegger, tatsächlich Briefumschläge hatte ablecken müssen, und zwar so viele, dass sich zunächst seine Zunge und später seine ganze Mundhöhle entzündete.
    »Jawohl, Herr Feldwebel.« Hans nickte, und damit war es beschlossene Sache. Seine Schreibqualitäten waren, gelinde gesagt, recht zweifelhaft, aber er hielt sich für vom Glück gesegnet. Er schrieb die Briefe, so gut er konnte, während seine Kameraden in die Schlacht zogen.
    Keiner von ihnen kehrte zurück.
    Das war das erste Mal, dass Hans Hubermann mir entwischte. Im Ersten Weltkrieg. Das zweite Mal würde es 1943 in Essen passieren. Zwei Kriege, zwei Entkommen. Einmal jung, einmal in den besten Jahren.
    Nicht viele Menschen haben das Glück, mir zwei Mal ein Schnippchen zu schlagen.
    Während des ganzen restlichen Krieges schleppte er das Akkordeon mit sich herum.
    Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg machte er Erik Vandenburgs Familie in Stuttgart ausfindig. Vandenburgs Frau erklärte ihm, dass er das Akkordeon behalten könne. Ihre Wohnung war voll mit Instrumenten, und es würde sie zu sehr aufregen, dieses besondere Akkordeon anschauen zu müssen. Die anderen reichten ihr als Erinnerung, genauso wie ihr Beruf, den sie einstmals mit ihrem Mann geteilt hatte. Sie gab Musikunterricht.
    »Er hat mir beigebracht zu spielen«, sagte Hans zu ihr, als ob das etwas helfen würde.
    Vielleicht tat es das wirklich, denn die am Boden zerstörte Frau bat ihn, etwas für sie zu spielen. Sie weinte still vor sich hin, während er ungeschickt auf die Knöpfe und Tasten drückte. Er spielte einen Walzer: »An der schönen blauen Donau«. Es war Erik Vandenburgs Lieblingsstück gewesen.
    »Wissen Sie«, sagte Hans Hubermann, »er hat mir das Leben gerettet.« Der Raum war nur spärlich mit Licht und Luft gesegnet. »Er... Wenn es jemals irgendetwas gibt, was Sie brauchen...«
    Er legte einen Zettel mit seinem Namen und seiner Adresse auf den Tisch.
    »Ich bin Anstreicher von Beruf. Ich kann Ihre Wohnung anstreichen, umsonst, wann immer Sie möchten.«
    Er wusste, dass sein Angebot einen völlig unzureichenden Ersatz darstellte, aber er unterbreitete es dennoch.
    Die Frau nahm den Zettel, und kurz darauf kam ein kleines Kind herein und kletterte auf ihren Schoß.
    »Das ist Max«, sagte die Frau. Der Junge war zu klein und zu schüchtern, um etwas zu sagen. Er war hager, mit weichem Haar, und seine runden, schlammfarbenen Augen schauten zu,

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