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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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nicht nach Hause gekommen war. Als Antwort meinte Papa, dass sich diese Dinge ihrer Kontrolle entzögen. »Das müssen Sie doch am besten wissen«, sagte er zu Max. »Sie sind doch ein junger Mann, und ein junger Mann ist immer noch ein Kind, und ein Kind hat das Recht, ab und zu dickköpfig zu sein.«
    Sie beließen es dabei.
    In den ersten Wochen vor dem Kamin blieb Max wortlos. Jetzt da er einmal in der Woche ein Bad nahm, bemerkte Liesel, dass seine Haare gar kein Geäst waren, sondern mehr ein Nest aus Federn, die um seinen Kopf flogen. Sie fühlte dem Fremden gegenüber immer noch eine gewisse Scheu und flüsterte Papa zu: »Seine Haare sind wie Federn.«
    »Was?« Das Knistern des Feuers hatte ihre Worte geschluckt.
    »Ich sagte«, flüsterte sie noch einmal und beugte sich näher, »dass seine Haare wie Federn sind ...«
    Hans Hubermann schaute auf und nickte. Ich bin sicher, er wünschte sich, die Augen des Mädchens zu haben. Sie waren sich nicht bewusst, dass Max alles gehört hatte.
    Gelegentlich brachte er seine Ausgabe von Mein Kampf 'mit und las im Schein der Flammen. Er kochte angesichts des Inhalts. Das dritte Mal, als er es dabeihatte, fand Liesel den Mut, ihre Frage zu stellen.
    »Ist es ... gut?«
    Er schaute von den Seiten auf, ballte seine Hand zur Faust und öffnete sie dann wieder. Er fegte den Zorn beiseite und lächelte sie an. Dann hob er die fedrigen Haarfransen und strich sie dann in Richtung seiner Augen glatt. »Es ist das beste Buch überhaupt.« Er blickte erst Papa an und dann Liesel. »Es hat mir das Leben gerettet.«
    Das Mädchen rückte ein wenig näher und schlug die Beine zum Schneidersitz übereinander. Leise fragte sie:
    »Wie?«
    Und so fing das Geschichtenerzählen im Wohnzimmer an. Jeden Abend fand es statt, gerade so laut, dass die Anwesenden die Worte verstehen konnten. Vor ihnen allen wurden die Teile des Puzzles zusammengesetzt. Das Bild ergab das Leben eines jüdischen Straßenboxers.
    Manchmal lag Humor in Max Vandenburgs Stimme, obwohl ihr Klangkörper beinahe nur aus Reibung bestand, wie ein Stein, der langsam über einen Felsbrocken geschoben wird. Manchmal war sie tief, und manchmal kratzte sie; manchmal brach sie entzwei. In Momenten der Reue klang sie unterirdisch und am Ende eines Scherzes oder in Augenblicken von Selbstverachtung zersplittert.
    »Herr Jesus« war der häufigste Kommentar zu Max Vandenburgs Erzählung, meist gefolgt von einer Frage.
    FRAGEN WIE DIESE
    Wie lange waren Sie in der Vorratskammer? Wo ist Walter Kugler jetzt? Wissen Sie, was mit Ihrer Familie passiert ist? Wohin ist die schnarchende Frau gefahren? Sie haben tatsächlich nur drei von dreizehn Kämpfen gegen Walter gewonnen? Warum haben Sie immer wieder gegen ihn geboxt?
    Als Liesel später auf ihr Leben zurückblickte, erschienen ihr diese Nächte im Wohnzimmer am deutlichsten im Gedächtnis. Sie sah noch das brennende Licht auf Max' Eierschalengesicht vor sich und konnte sogar den menschlichen Geschmack seiner Worte auf der Zunge spüren. Die Chronologie seines Überlebens wurde Stück für Stück berichtet, als würde er jeden Teil davon aus sich herausschneiden und ihr auf einem Teller überreichen.
    »Ich bin so selbstsüchtig.«
    Als er das sagte, bedeckte er mit dem Unterarm sein Gesicht. »Ich lasse meine Lieben zurück Ich komme hierher. Ich bringe alle in Gefahr ...« Er ließ alles aus sich herausfallen und fing an zu flehen. Trauer und Verzweiflung waren ihm ins Gesicht genagelt. »Es tut mir leid. Bitte glauben Sie mir. Es tut mir so leid, so leid. Es tut mir ...«
    Sein Arm berührte das Feuer, und er zuckte zurück.
    Sie alle betrachteten ihn schweigend. Dann stand Papa auf und ging zu ihm. Er setzte sich neben ihn.
    »Haben Sie sich den Ellbogen verbrannt?«
    Eines Abends saßen Hans, Max und Liesel vor dem Kamin. Mama war in der Küche. Max las wieder in Mein Kampf.
    »Wissen Sie was?«, sagte Hans. Er beugte sich näher ans Feuer. »Liesel kann übrigens auch ganz gut lesen.« Max senkte das Buch. »Und sie hat noch mehr mit Ihnen gemein.« Papa schaute zur Tür, ob Rosa nicht zufällig gerade hereinkam. »Sie prügelt sich auch ab und zu ganz gerne.«
    »Papa!«
    Liesel, nur noch kurze Zeit elf Jahre alt und immer noch hager und schlaksig, wie sie da an die Wand gelehnt saß, war empört. »Ich habe mich noch nie geprügelt!«
    »Pst!« Papa lachte. Er bedeutete ihr, ihre Stimme zu dämpfen. Diesmal neigte er sich dem Mädchen zu. »Und was ist mit der Abreibung,

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