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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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die du Ludwig Schmeikl verpasst hast, hm?«
    »Ich habe niemals...« Sie war entlarvt. Weiteres Leugnen war zwecklos. »Woher weißt du das?«
    »Ich habe seinen Papa im >Knoller< getroffen.«
    Liesel hielt ihr Gesicht in den Händen. Dann schaute sie auf und stellte die Schlüsselfrage: »Hast du Mama davon erzählt?«
    »Machst du Witze?« Er zwinkerte Max zu und flüsterte dann dem Mädchen zu: »Du bist doch noch am Leben, oder?«
    In dieser Nacht spielte Papa zum ersten Mal seit Monaten wieder zu Hause Akkordeon. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis er Max eine Frage stellte:
    »Haben Sie spielen gelernt?«
    Das Gesicht in der Ecke war den Flammen zugewandt. »Ja.« Eine Weile herrschte Schweigen. »Bis ich neun war. Dann verkaufte meine Mutter die Musikschule und hörte auf zu unterrichten. Sie behielt ein einziges Instrument, aber als ich mich weigerte zu lernen, gab sie es auf. Ich war ein Narr.«
    »Nein«, sagte Papa. »Sie waren ein Kind.«
    In den Nächten gingen Liesel Meminger und Max Vandenburg ihren sich gleichenden Gewohnheiten nach. In getrennten Räumen hatten sie ihre Albträume und wachten auf, sie mit einem Schrei in ertrinkenden Laken, er neben einem rauchenden Feuer, um Luft ringend.
    Manchmal, wenn Liesel bis drei Uhr morgens mit Papa las, erlebten sie Max' erwachende Momente. »Er träumt wie du«, sagte Papa dann, und ein Mal, als sie Max' angstvolle Nachtgeräusche hörte, entschloss sich Liesel aufzustehen. Anhand seiner Erzählungen hatte sie eine ziemlich gute Vorstellung davon, was er in seinen Träumen sah, wenn auch nicht den genauen Teil der Geschichte, der ihm jede Nacht einen Besuch abstattete.
    Leise ging sie durch den Flur und ins Wohnzimmer.
    »Max?«
    Das Flüstern war sanft, bewölkt in einer Kehle aus Schlaf.
    Am Anfang kam keine Reaktion, aber kurz darauf richtete er sich auf und blickte suchend in die Dunkelheit.
    Papa schlief noch in ihrem Zimmer, und Liesel setzte sich Max gegenüber ans andere Ende des Kamins. Hinter ihnen schlief Mama geräuschvoll. Sie stand der Schnarcherin aus dem Zug in nichts nach.
    Das Feuer war nur noch ein ersterbendes Häuflein aus Rauch und toter Asche. In dieser besonderen Nacht trafen sich zwei Stimmen.
    DER AUSTAUSCH VON ALBTRÄUMEN
    Das Mädchen: »Erzählen Sie mir: Was sehen Sie, wenn Sie träumen?« Der Jude: »Ich sehe mich selbst, wie ich mich umdrehe und zum Abschied winke.« Das Mädchen: »Ich habe auch Albträume.« Der Jude: »Was siehst du?« Das Mädchen: »Einen Zug und meinen toten Bruder.« Der Jude: »Deinen Bruder?« Das Mädchen: »Er starb auf der Fahrt hierher.« Das Mädchen und der Jude, im Chor: »Ja.«
    Es wäre schön, wenn man behaupten könnte, dass nach diesem kleinen Durchbruch weder Liesel noch Max länger von ihren bösen Träumen geplagt wurden. Es wäre schön, aber nicht die Wahrheit. Die Albträume traten vor, wie sie es immer taten, wie der beste Mann der gegnerischen Mannschaft, nachdem man Gerüchte gehört hat, er wäre krank oder verletzt - aber da kommt er und wärmt sich mit seiner Mannschaft auf, bereit, das Spielfeld zu erobern. Oder wie ein Zug, der pünktlich auf einem nächtlichen Gleis einfährt und die Erinnerungen an einem Seil hinter sich herzieht. Ein Bündel voller Erinnerungen. Ein Bündel, das auf und nieder hüpft.
    Eine Veränderung gab es doch: Liesel eröffnete ihrem Papa, dass sie nun alt genug war, um allein mit ihren Albträumen fertig zu werden. Eine Sekunde lang wirkte er gekränkt, aber wie immer fand er auch diesmal die richtigen Worte.
    »Na, Gott sei Dank.« Er grinste schief. »Wenigstens bekomme ich jetzt wieder etwas mehr Schlaf. Der Stuhl hätte mich beinahe umgebracht.« Er legte den Arm um das Mädchen, und gemeinsam gingen sie in die Küche.
    Mit der Zeit entwickelte sich eine klare Trennlinie zwischen zwei sehr unterschiedlichen Welte n - der Welt innerhalb der Himmelstraße 33 und der Welt, die sich vor der Haustür weiterdrehte. Die Kunst bestand darin, beide auseinanderzuhalten.
    Liesel lernte, sich die Außenwelt auf völlig neue Art und Weise nutzbar zu machen. Eines Nachmittags, als sie mit dem leeren Wäschesack heimlief, bemerkte sie eine Zeitung, die aus einem Mülleimer ragte. Es war eine Ausgabe des Molchinger Abendblatts. Sie zog sie heraus und nahm sie mit. Zu Hause gab sie die Zeitung Max. »Ich dachte«, sagte sie, »Sie würden vielleicht gerne das Kreuzworträtsel lösen, um sich die Zeit zu vertreiben.«
    Max war dankbar für diese Geste, und

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