Die Chirurgin
einer Reihe von Autos vorbei zum Stellplatz 541, wo ihr Wagen steht. Es ist ein zitronengelber Mercedes, das neueste Modell. Sie hält ihn blitzsauber in Schuss.
Ich nehme den Schlüsselring aus der Tasche, den Ring, den ich jetzt schon seit zwei Wochen aufgehoben habe, und stecke einen der Schlüssel in das Kofferraumschloss ihres Wagens.
Der Deckel springt auf.
Ich werfe einen Blick hinein und entdecke den Notöffnungshebel, eine hervorragende Sicherheitsvorrichtung, die verhindert, dass Kinder sich beim Spielen im Kofferraum einsperren.
Ein anderer Wagen kommt mit dröhnendem Motor die Auffahrt hochgefahren. Rasch schlage ich den Kofferraumdeckel des Mercedes zu und gehe weiter.
Zehn grausame Jahre lang tobte der Trojanische Krieg. Das jungfräuliche Blut der Iphigenie, vergossen auf dem Altar zu Aulis, hatte die tausend griechischen Schiffe mit einem günstigen Wind gen Troja segeln lassen, wo jedoch kein rascher Sieg die Griechen erwartete. Denn die Götter auf dem Olymp waren zerstritten. Auf Trojas Seite waren Aphrodite und Ares, Apollo und Artemis. Auf der griechischen Seite standen Hera und Athene und Poseidon. Das Schlachtenglück flatterte zwischen den beiden Lagern hin und her, unstet wie der Wind. Helden töteten und wurden getötet, und der Dichter Vergil berichtet, dass die Erde von Blut getränkt war.
Am Ende wurden die Troer nicht mit Gewalt, sondern mit einer List in die Knie gezwungen. Als Trojas letzter Tag anbrach, erwachten seine Soldaten und erblickten ein riesiges hölzernes Pferd, das verlassen am Skäischen Tor stand.
Wenn ich an das Trojanische Pferd denke, wundere ich mich immer wieder über die Torheit der Soldaten Trojas. Als sie das Ungetüm in die Stadt rollten, wie konnten sie da nicht ahnen, dass in seinem Bauch der Feind lauerte? Warum brachten sie es überhaupt in die befestigte Stadt? Warum verbrachten sie diese Nacht mit einem wüsten Gelage und trübten ihre Sinne durch eine weinselige Siegesfeier? Ich bilde mir ein, dass ich nicht so arglos gewesen wäre.
Vielleicht waren es ihre undurchdringlichen Stadtmauern, die sie in so trügerischer Sicherheit wiegten. Wenn die Tore einmal geschlossen sind, wenn alle Barrikaden dicht sind, wie kann der Feind dann angreifen? Er ist doch ausgesperrt, jenseits dieser dicken Mauern.
Niemand kommt auf den Gedanken, dass der Feind schon innerhalb der Tore sein könnte. Dass er schon hier ist, direkt neben dir.
Ich denke an das hölzerne Pferd, während ich Milch und Zucker in meinen Kaffee rühre.
Ich greife nach dem Telefon.
» Chirurgische Ambulanz, Helen am Apparat « , meldet sich die Sekretärin.
» Könnte ich heute Nachmittag einen Termin bei Dr. Cordell bekommen! «
» Ist es ein Notfall? «
» Nicht wirklich. Ich habe da so einen weichen Knoten am Rücken. Es tut nicht weh, aber ich hätte gern, dass sie sich das mal ansieht. «
» In etwa zwei Wochen könnte ich Sie bei ihr unterbringen. «
» Kann ich sie nicht heute Nachmittag sprechen? Nach ihrem letzten Termin? «
» Tut mir Leid, Mr. – wie war noch Ihr Name? «
» Mr. Troy. «
» Mr. Troy. Aber Dr. Cordell ist bis fünf Uhr beschäftigt, und danach fährt sie gleich nach Hause. Zwei Wochen, eher geht’s wirklich nicht. «
» Macht nichts. Dann versuche ich es eben bei einem anderen Arzt. «
Ich lege auf. Ich weiß jetzt, dass sie irgendwann kurz nach fünf ihr Büro verlassen wird. Sie ist müde, sicherlich wird sie gleich nach Hause fahren wollen.
Es ist jetzt neun Uhr früh. Es wird ein Tag des Wartens werden, ein Tag der Vorfreude.
Zehn blutige Jahre lang belagerten die Griechen Troja. Zehn Jahre lang harrten sie aus, rannten gegen die Mauern des Feindes an, während ihr Geschick sich mit der Gunst der Götter hin und her wendete.
Ich habe nur zwei Jahre auf meinen verdienten Lohn gewartet.
Lange genug.
21
Die Sekretärin im Büro für studentische Angelegenheiten der Medizinischen Fakultät an der Emory University sah Doris Day zum Verwechseln ähnlich; eine Blondine mit sonnigem Gemüt, die zu einer gütigen Südstaaten-Matrone gereift war. Winnie Bliss hatte immer eine Kanne mit dampfendem Kaffee neben den Postfächern der Studenten und eine Kristallschale mit Karamellbonbons auf ihrem Schreibtisch stehen, und Moore konnte sich lebhaft vorstellen, dass ein gestresster Medizinstudent in diesem Büro einen willkommenen Zufluchtsort finden würde. Winnie arbeitete hier schon seit zwanzig Jahren, und da sie selbst keine Kinder hatte, lebte sie
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