Die Chirurgin
Mücken surrten um ihren Kopf herum, während sie den Blick über die ungeteerte Einfahrt schweifen ließ, wo ihr Wagen stand, und weiter über das hohe Gras bis zu dem nahen Waldstück mit den wild über den Rand hinaus sprießenden Schößlingen. Da draußen gab es zu viele Verstecke. Während sie wie ein hirnloses Rindvieh gegen die Hintertür angerannt war, war er zur Haustür rausgeschlichen und hatte sich in den Wald geflüchtet.
Cordell ist im Haus. Du musst sie finden.
Sie ging wieder hinein und eilte die Treppe hoch. Im Obergeschoss war es heiß und stickig, und der Schweiß strömte ihr nur so aus den Poren, während sie eilig die drei Schlafzimmer, das Bad und die Wandschränke durchsuchte. Keine Spur von Cordell.
Gütiger Himmel, sie würde hier drin noch ersticken.
Sie ging wieder die Treppe hinunter. Im Haus herrschte eine solche Totenstille, dass sich ihr die Nackenhaare sträubten. Mit einem Mal wurde ihr klar, dass Cordell tot sein musste. Was sie von der Scheune aus gehört hatte, musste ein Todesschrei gewesen sein, der letzte Laut aus einer sterbenden Kehle.
Sie ging in die Küche zurück. Durch das Fenster über der Spüle konnte sie die Scheune deutlich sehen.
Er hat mich durch das Gras zur Scheune gehen sehen. Er hat mich dort hineingehen sehen. Er wusste, dass ich den Mercedes finden würde. Er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war.
Also hat er dem Ganzen ein Ende gemacht. Und ist davongerannt.
Der Kühlschrank rumpelte ein paarmal und verstummte dann. Sie hörte ihr eigenes Herz schlagen, wie der rasende Wirbel einer kleinen Trommel.
Als sie sich umdrehte, erblickte sie die Tür zum Keller. Dem einzigen Ort, den sie noch nicht durchsucht hatte.
Sie öffnete die Tür und sah ein gähnendes dunkles Loch. Verdammt, wie sie es hasste, in die Finsternis einzutauchen und diese Treppe hinunterzugehen, nur um dort unten ein Bild des Grauens vorzufinden. Sie wollte es nicht tun, aber sie wusste, dass Cordell dort unten sein musste.
Rizzoli griff in die Tasche und tastete nach ihrer Mini-Taschenlampe. Sie richtete den dünnen Lichtstrahl auf die Treppe und stieg die erste Stufe hinunter, dann die zweite. Die Luft roch kühler, feuchter.
Sie witterte Blut.
Etwas streifte ihr Gesicht, und sie zuckte erschrocken zurück. Dann stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie erkannte, das es nur die herabhängende Schnur einer Lampe war. Sie zog einmal daran. Nichts geschah.
Sie würde sich mit der Taschenlampe zurechtfinden müssen.
Wieder richtete sie den Strahl auf die Stufen und ging weiter, die Waffe immer dicht am Körper. Nach der erstickenden Hitze in den oberen Räumen kam ihr die Luft hier unten fast frostig vor. Der Schweiß auf ihrer Haut fühlte sich eiskalt an.
Sie erreichte das Ende der Treppe, und ihre Sohlen traten auf festgestampfte Erde. Hier war es noch etwas kühler, und der Blutgeruch war stärker. Die Luft abgestanden und feucht. Still, so still; totenstill. Das lauteste Geräusch war das Rauschen ihres eigenen Atems.
Sie ließ den Lichtstrahl kreisen und hätte fast laut aufgeschrien, als ihr eigenes Spiegelbild sie plötzlich anstarrte. Mit pochendem Herzen stand sie da, die Waffe im Anschlag, und dann sah sie, was das Licht der Lampe reflektiert hatte.
Gläser. Große Apothekergläser, aufgereiht auf einem Regal. Sie musste die Objekte, die in diesen Gläsern schwammen, gar nicht erst anschauen, um zu wissen, um was es sich handelte.
Seine Souvenirs.
Es waren sechs Gläser, jedes mit einem Namensetikett versehen. Mehr Opfer, als sie alle geahnt hatten.
Das letzte Glas war leer, doch der Name stand schon auf dem Etikett; der Behälter wartete nur darauf, die Trophäe aufzunehmen. Die wertvollste Trophäe von allen.
Catherine Cordell.
Rizzoli wirbelte herum; der Strahl ihrer Taschenlampe zuckte wild umher, flatterte an massiven Stützpfeilern und Fundamenten vorbei und erstarrte dann abrupt, als er in die gegenüberliegende Ecke fiel. Da waren schwarze Spritzer an der Wand.
Blut.
Sie senkte den Lichtstrahl, und er fiel direkt auf Cordells Körper. Sie lag auf einem Bett, Hand- und Fußgelenke mit Klebeband an das Gestell gefesselt. Frisches Blut schimmerte auf ihrem Rumpf. Auf einem weißen Oberschenkel leuchtete ein hellroter Handabdruck, dort, wo der Chirurg seinen Handschuh auf ihre Haut gepresst hatte, wie um ihr sein Siegel aufzudrücken. Das Tablett mit den chirurgischen Instrumenten stand noch neben dem Bett; ein Sortiment von
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