Die Chirurgin
lang war sie eine Kämpferin gewesen, ihr ganzes Leben lang hatte sie sich mit wilder Entschlossenheit gegen jede Niederlage gestemmt, doch hier und jetzt war sie besiegt. Ihre Kehle war entblößt, ihr Kopf nach hinten gebogen. Sie sah das Aufblitzen der Klinge und schloss die Augen, als sie ihre Haut berührte.
O Gott, lass es schnell gehen.
Sie hörte, wie er noch einmal Luft holte, spürte, wie seine Hand die Haarsträhne fester packte.
Der Schuss ließ sie zusammenfahren.
Sie riss die Augen auf. Er hockte immer noch hinter ihr, aber er hatte ihre Haare losgelassen. Das Skalpell fiel ihm aus der Hand. Etwas Warmes tropfte ihr ins Gesicht. Blut.
Nicht ihres, seines.
Er fiel nach hinten und verschwand aus ihrem Gesichtsfeld.
Sie hatte sich schon mit ihrem eigenen Tod abgefunden, und jetzt lag sie wie benommen da und konnte kaum begreifen, dass sie noch lebte. Angestrengt versuchte sie, eine ganze Reihe von Details gleichzeitig zu registrieren. Sie sah die Glühbirne wie einen hellen Mond an einer Schnur baumeln. An der Wand tanzten Schatten. Sie drehte den Kopf und sah, wie Catherine Cordells Arm schlaff auf das Bett zurückfiel.
Sah, wie ihr die Pistole aus der Hand glitt und mit einem dumpfen Schlag auf die Erde fiel.
In der Ferne heulte eine Sirene.
27
Rizzoli saß aufrecht in ihrem Krankenhausbett und starrte finster auf den Fernsehbildschirm. Ihre Hände waren so dick verbunden, dass es aussah, als trüge sie Boxhandschuhe. Oberhalb ihrer Schläfe befand sich eine große kahl rasierte Fläche, wo die Ärzte eine Platzwunde hatten nähen müssen. Sie war so in ihren Kampf mit der Fernbedienung vertieft, dass sie Moore, der in der offenen Tür stand, zunächst gar nicht bemerkte. Dann klopfte er. Als sie sich zu ihm umwandte, sah er für den Bruchteil einer Sekunde einen Funken von Verletzlichkeit in ihren Augen. Dann traten ihre gewohnten Abwehrmechanismen wieder in Aktion, und sie war die alte Rizzoli, die mit misstrauischem Blick beobachtete, wie er das Zimmer betrat und auf dem Stuhl an ihrem Bett Platz nahm.
Aus dem Fernseher quäkte die nervtötende Titelmelodie einer Familienserie.
»Können Sie vielleicht mal diesen Mist ausschalten?«, platzte sie frustriert heraus, während sie mit einer verbundenen Tatze auf die Fernbedienung deutete. »Ich kann die Tasten nicht treffen. Die erwarten wohl, dass ich meine Nase dazu benutze oder was auch immer.«
Er nahm die Fernbedienung und drückte auf die AUS-Taste.
» Vielen Dank«, stieß sie betont dramatisch hervor – und fuhr gleich zusammen, als der Schmerz der drei gebrochenen Rippen sie durchzuckte.
Nachdem der Fernseher verstummt war, schwiegen sie beide zunächst ausgiebig. Durch die offene Tür hörten sie eine Lautsprecherdurchsage und das Rattern des Essenswagens, der durch den Flur geschoben wurde.
»Sind Sie hier auch gut versorgt?«, fragte er.
»Für ein Provinzkrankenhaus ist es ganz in Ordnung. Ist wahrscheinlich sogar besser, als wenn ich in der Stadt wäre.«
Während Catherine und Hoyt wegen ihrer ernsteren Verletzungen per Rettungshubschrauber nach Boston ins Pilgrim Medical Center gebracht worden waren, hatte ein Rettungswagen Rizzoli in dieses kleine Landkrankenhaus gefahren. Trotz der beträchtlichen Entfernung von der Stadt hatte schon fast die komplette Bostoner Mordkommission Rizzoli ihre Aufwartung gemacht.
Und alle hatten sie Blumen mitgebracht. Moores Rosenstrauß ging fast unter in der Masse der Gestecke und Arrangements, die den Nachttisch und die Beistelltische, ja sogar den Boden bedeckten.
»Wow«, stieß er hervor. »Sie haben ja einen Haufen Verehrer an Land gezogen.«
»Nicht wahr? Ob Sie’s glauben oder nicht, sogar Crowe hat Blumen angeschleppt. Die Lilien da drüben. Ich glaube, er will mir irgendwas damit sagen. Sehen die nicht aus wie Friedhofsblumen? Sehen Sie die hübschen Orchideen dort? Die sind von Frost. Mensch, ich hätte ihm eher Blumen schicken sollen als Dank dafür, dass er mir das Leben gerettet hat.«
Es war Frost gewesen, der die Staatspolizei alarmiert hatte. Als Rizzoli auf seine Anrufe nicht reagiert hatte, hatte er sich mit Dean Hobbs vom Supermarkt in Verbindung gesetzt, um sie ausfindig zu machen, und hatte erfahren, dass sie zur Sturdee-Farm hinausgefahren war, um mit einer schwarzhaarigen Frau zu sprechen.
Rizzoli setzte ihre Inventur der Blumengeschenke fort.
»Die riesige Vase da mit dem exotischen Zeugs drin ist von Elena Ortiz’ Familie. Die Nelken sind von Marquette,
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