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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»Möchtest du, dass ich ihn nach draußen begleite?«
    »Ich komme schon allein damit klar.«
    »Du bist nicht verpflichtet, irgendwelche Fragen zu beantworten.«
    »Das ist mir sehr wohl bewusst, danke.«
    »Okay. Aber falls du mich brauchst, ich bin gleich hier nebenan.« Peter warf Moore noch einen letzten warnenden Blick zu und ging wieder in sein eigenes Büro. Vom anderen Ende des Flurs starrten Helen und die Buchhalterin sie an. Mit fahrigen Bewegungen zog Catherine die Tür wieder zu. Einen Augenblick lang stand sie mit dem Rücken zu Moore da. Dann richtete sie sich kerzengerade auf und wandte sich zu ihm um. Ob sie ihm jetzt oder später antwortete, die Fragen würden bleiben.
    »Ich habe Ihnen nichts vorenthalten«, sagte sie. »Wenn ich Ihnen nicht in allen Einzelheiten sagen kann, was an dem Abend passiert ist, dann liegt es daran, dass ich mich nicht erinnern kann.«
    »Ihre Aussage bei der Polizei von Savannah entsprach also nicht gänzlich der Wahrheit.«
    »Ich lag noch im Krankenhaus, als ich meine Aussage machte. Detective Singer ging mit mir die Ereignisse durch; er half mir, das Puzzle zusammenzusetzen. Ich erzählte ihm, was ich damals für die korrekte Version gehalten habe.«
    »Und jetzt sind Sie sich nicht mehr sicher.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es ist schwer, die echten von den falschen Erinnerungen zu unterscheiden. Es gibt so vieles, woran ich mich nicht mehr erinnern kann, und das liegt an dem Medikament, das Capra mir verabreicht hat. An dem Rohypnol. Immer mal wieder schießt mir ein Erinnerungsfetzen durch den Kopf. Etwas, das wahr sein könnte oder auch nicht.«
    »Und diese spontanen Erinnerungen haben Sie immer noch?«
    »Erst letzte Nacht wieder. Es war das erste Mal seit Monaten. Ich hatte geglaubt, es wäre endlich überstanden. Ich dachte, ich wäre diese Visionen los.« Sie trat ans Fenster und schaute hinaus. Die Aussicht war durch dunkel aufragende Betontürme verstellt. Ihr Büro lag dem Bettenhaus gegenüber, und man konnte die Fenster der Krankenzimmer erblicken, Reihe um Reihe. Ein Einblick in die privaten Welten der Kranken und der Sterbenden.
    »Zwei Jahre, das klingt wie eine lange Zeit«, sagte sie.
    »Genug Zeit, um zu vergessen. Aber zwei Jahre sind in Wirklichkeit nichts. Gar nichts. Nach dieser Nacht konnte ich nicht mehr in mein eigenes Haus zurückgehen. Ich konnte keinen Fuß mehr in die Wohnung setzen, in der es passiert war. Mein Vater musste meine Sachen packen und mir beim Umzug in meine neue Wohnung helfen. Man muss sich das einmal vorstellen – ich, die leitende Assistenzärztin, gewöhnt an den Anblick von Blut und Gedärmen –, und allein bei dem Gedanken, diesen Flur entlangzugehen und meine alte Schlafzimmertür aufzumachen, brach mir der kalte Schweiß aus. Mein Vater versuchte mich zu verstehen, aber er ist nun einmal ein alter Soldat. Er kann keine Schwäche akzeptieren. Für ihn ist das bloß eine Kriegsverletzung wie jede andere – sie verheilt, und das Leben geht weiter. Er sagte mir, ich solle endlich erwachsen werden und darüber hinwegkommen.« Sie schüttelte den Kopf und lachte. » Darüber hinwegkommen. Das klingt ja so einfach. Er hatte keine Ahnung, wie schwer es mir fiel, morgens einfach nur das Haus zu verlassen. Zu meinem Wagen zu gehen. So schutzlos zu sein. Und irgendwann habe ich einfach nicht mehr mit ihm geredet, weil ich wusste, wie sehr ihn meine Schwachheit anwiderte. Ich habe ihn seit Monaten nicht mehr angerufen …
    Ich habe zwei Jahre gebraucht, um meine Angst endlich in den Griff zu bekommen. Um ein einigermaßen normales Leben führen zu können, um nicht ständig das Gefühl zu haben, dass mir hinter jedem Busch irgendetwas auflauert. Ich hatte mir mein Leben zurückerobert.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, wischte sich mit einer ungeduldigen, zornigen Bewegung die Tränen ab. Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. »Und jetzt habe ich es wieder verloren …«
    Sie zitterte am ganzen Leib in dem krampfhaften Bemühen, die Tränen zu unterdrücken. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und kämpfte um ihre Fassung, während ihre Fingernägel sich in ihre Oberarme gruben. Moore stand auf und trat zu ihr hin. Hinter ihrem Rücken blieb er stehen und fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn er sie berührte. Würde sie ihm ausweichen? Würde der bloße Kontakt mit der Hand eines Mannes sie abstoßen? Er sah hilflos zu, wie sie in sich zusammensank, und er dachte, sie müsste vor seinen Augen

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