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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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so auf die einzige Überlebende unter Andrew Capras Opfern konzentriert.« Er deutete auf die Liste. »Diese anderen Frauen – Sterling, Ortiz, Peyton –, was ist, wenn sie einfach nur Stellvertreter sind? Ersatz für sein eigentliches Opfer?«
    »Die Sack-und-Esel-Theorie«, sagte Zucker. »Sie können die Frau, die Sie wirklich hassen, nicht umbringen, weil sie zu mächtig ist. Zu einschüchternd. Also töten Sie eine Ersatzfigur, eine Frau, die stellvertretend für dieses eigentliche Objekt steht.«
    »Sie wollen also sagen, dass sein eigentliches Ziel immer schon Cordell gewesen ist?«, fragte Frost. »Und dass er sich vor ihr fürchtet?«
    »Es ist der gleiche Grund, aus dem Edmund Kemper seine Mutter erst ganz zum Schluss seiner Mordserie getötet hat«, sagte Zucker. » Sie war die ganze Zeit das wahre Objekt seiner Aggression; die Frau, die er verachtete. Aber statt sie anzugreifen, ließ er seine Wut an anderen Opfern aus. Mit jedem Mord vernichtete er seine Mutter aufs Neue. Er konnte sie nicht wirklich töten, anfangs jedenfalls nicht, denn ihre Autorität war zu groß. Auf einer gewissen Ebene fürchtete er sie. Doch mit jedem Mord wuchs sein Selbstvertrauen. Seine Macht. Und schließlich erreichte er doch noch sein Ziel. Er schlug seiner Mutter den Schädel ein, enthauptete und vergewaltigte sie. Und als letzten Akt der Erniedrigung riss er ihr den Kehlkopf heraus und warf ihn auf den Müll. Das wahre Objekt seiner Rage war endlich tot. Und damit war sein Amoklauf beendet. In diesem Moment stellte Edmund Kemper sich der Polizei.«
    Barry Frost war gewöhnlich der erste Polizist am Tatort, dem das Frühstück hochkam, und bei dem Gedanken an Kempers grausiges Finale schien ihm ein wenig flau im Magen zu werden. »Also könnten diese ersten drei Überfälle bloß Aufwärmübungen für das eigentliche Hauptereignis sein?«, fragte er.
    Zucker nickte. »Für den Mord an Catherine Cordell.«
     
    Es tat Moore fast weh, das Lächeln auf Catherines Gesicht zu sehen, als sie das Wartezimmer der Klinik betrat, um ihn zu begrüßen. Er wusste, dass die Fragen, mit denen er gekommen war, ihr die Freude über seinen Besuch mit Sicherheit verderben würden. Wenn er sie jetzt anschaute, sah er in ihr kein Opfer, sondern eine schöne und warmherzige Frau, die sofort seine Hand nahm und sie nur ungern wieder loszulassen schien.
    »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen. Ich möchte mich ein wenig mit Ihnen unterhalten«, sagte er.
    »Für Sie nehme ich mir immer Zeit.« Wieder dieses bezaubernde Lächeln. »Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    »Nein danke. Machen Sie sich keine Mühe.«
    »Gut, dann lassen Sie uns in mein Büro gehen.«
    Sie machte es sich hinter ihrem Schreibtisch bequem und wartete gespannt darauf, welche Neuigkeiten er mitgebracht hatte. In den letzten Tagen hatte sie gelernt, ihm zu vertrauen, und ihr Blick war offen und unverstellt. Schutzlos. Er hatte ihr Vertrauen als Freund gewonnen, und nun würde er es mit einem Schlag wieder zerstören.
    »Es ist offensichtlich«, begann er, »dass der Chirurg auf Sie fixiert ist.«
    Sie nickte.
    »Was wir uns fragen, ist: Wieso? Warum imitiert er Andrew Capras Methode? Warum sind Sie in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit gerückt? Wissen Sie die Antwort auf diese Fragen?«
    In ihren Augen flackerte Verwirrung auf. »Ich habe keine Ahnung.«
    »Wir glauben, dass Sie sehr wohl eine Ahnung haben.«
    »Woher sollte ich denn wissen, wie er denkt?«
    »Catherine, er könnte auch anderen Frauen in Boston auflauern. Er könnte sich eine aussuchen, die unvorbereitet ist, die keine Ahnung hat, dass er hinter ihr her ist. Das wäre logisch – sich auf die leichte Beute zu stürzen. Sie aber sind das schwierigste Opfer, das er sich auswählen konnte, weil Sie ohnehin schon auf der Hut vor Angriffen sind. Und dann macht er es sich noch schwerer, indem er Sie warnt. Und Sie verhöhnt. Warum?«
    Die Herzlichkeit war aus ihrem Blick gewichen. Mit einem Mal versteiften sich ihre Schultern, und ihre Hände ballten sich auf der Schreibtischplatte zu Fäusten. »Ich kann Ihnen nur immer wieder sagen, ich weiß es nicht.«
    »Sie sind die einzige konkrete Verbindung zwischen Andrew Capra und dem Chirurgen«, sagte er. »Das gemeinsame Opfer. Es ist, als wäre Capra noch am Leben, als machte er da weiter, wo er aufgehört hat. Und aufgehört hatte er damals mit Ihnen. Mit der einen, die ihm entkam.«
    Sie starrte auf ihren Schreibtisch herab, auf die Akten, die so säuberlich

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