Die Chirurgin
Schwester.
Moore und Frost betraten die Kabine, wo Catherine am Bett der Patientin saß und ihre Hand hielt.
»Sie hat mich gebeten, zu bleiben«, sagte Catherine.
»Ich kann eine Polizeibeamtin kommen lassen«, meinte Moore.
»Nein, sie will mich«, erwiderte Catherine. »Ich gehe nicht weg.«
Sie sah Moore mit festem Blick in die Augen, und ihm wurde klar, dass dies nicht dieselbe Frau war, die er noch vor wenigen Stunden im Arm gehalten hatte; hier kam eine andere Seite von ihr zum Vorschein, wild entschlossen und kampfbereit. In dieser Angelegenheit würde sie nicht nachgeben.
Er nickte und nahm auf einem Stuhl neben dem Bett Platz. Frost stellte den Kassettenrekorder auf und nahm eine unaufdringliche Position am Fuß des Bettes ein. Es war Frosts unauffälliges Wesen, seine stille Höflichkeit, die Moore bewogen hatte, ihn zu dieser Befragung mitzunehmen. Das Letzte, was man Nina Peyton zumuten durfte, war ein allzu aggressiver Polizist.
Ihre Atemmaske war durch eine Sauerstoffbrille ersetzt worden; die Luft fuhr mit leisem Zischen durch den Schlauch in ihre Nasenlöcher. Ihre Augen flackerten zwischen den beiden Männern hin und her, sie registrierten jede vermeintliche Bedrohung, jede heftige Geste. Moore sprach bewusst leise, als er nunmehr sich selbst und Frost vorstellte. Er ging mit ihr die Präliminarien durch, ließ sich ihren Namen, ihr Alter und ihre Adresse bestätigen. Zwar wusste er all das schon vorher, doch indem er sie aufforderte, die Angaben auf Band zu sprechen, konnte er ihren geistigen Zustand ermitteln und demonstrieren, dass sie bei vollem Bewusstsein und somit in der Lage war, eine Aussage zu machen. Sie beantwortete seine Fragen mit einer heiseren, tonlosen Stimme, die befremdlich emotionslos klang. Ihre Distanziertheit machte ihn nervös; er hatte das Gefühl, einer Toten zuzuhören.
»Ich habe ihn nicht in mein Haus kommen gehört«, sagte sie. »Ich wachte erst auf, als er schon neben meinem Bett stand. Ich hätte die Fenster nicht offen lassen sollen. Ich hätte die Tabletten nicht nehmen sollen …«
»Welche Tabletten?«, fragte Moore mit sanfter Stimme.
»Ich litt an Schlafstörungen wegen …« Sie verstummte.
»Wegen der Vergewaltigung?«
Sie wandte sich ab, mied seinen Blick. »Ich hatte Albträume. In der Klinik gaben sie mir Tabletten, die sollten mir helfen, besser zu schlafen.«
Und plötzlich stand ein Albtraum, ein echter Albtraum, mitten in ihrem Schlafzimmer.
»Haben Sie sein Gesicht gesehen?«, fragte er.
»Es war dunkel. Ich konnte ihn atmen hören, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht schreien.«
»Sie waren schon gefesselt?«
»Ich kann mich nicht erinnern, wie er es getan hat. Ich weiß nicht, wie es passiert ist.«
Chloroform, dachte Moore, um sie wehrlos zu machen. Bevor sie ganz aufwachen konnte.
»Was ist dann passiert, Nina?«
Ihr Atem beschleunigte sich. Auf dem Monitor über ihrem Bett jagte der Lichtpunkt ihrer Herzkurve schneller von links nach rechts.
»Er hat sich auf einen Stuhl neben meinem Bett gesetzt. Ich konnte seinen Schatten sehen.«
»Und was hat er gemacht?«
»Er – er hat mit mir gesprochen.«
»Was hat er gesagt?«
»Er sagte …« Sie schluckte. »Er sagte, ich wäre schmutzig. Verseucht. Er sagte, ich sollte mich vor mir selbst ekeln, so dreckig wäre ich. Und er – er würde das Stück aus mir herausschneiden, das befleckt war, und mich so wieder rein machen.« Sie schwieg einen Moment. Und fuhr dann flüsternd fort: »In dem Moment war mir klar, dass ich sterben würde.«
Catherine war kreidebleich geworden, doch Nina schien merkwürdig gefasst, so als spreche sie über den Albtraum einer anderen Frau, nicht ihren eigenen. Ihre Augen waren nicht mehr auf Moore gerichtet, sondern auf irgendeinen Punkt hinter ihm, und sie erblickten wie aus weiter Ferne eine an ein Bett gefesselte Frau. Und auf einem Stuhl, verborgen in der Dunkelheit, einen Mann, der mit ruhiger Stimme beschrieb, welche Gräuel er als Nächstes plante. Für den Chirurgen, dachte Catherine, ist dies das Vorspiel. Das ist es, was ihn erregt. Der Geruch der Angst, der von einer Frau ausgeht. Das ist sein Lebenselixier. Er sitzt an ihrem Bett und füllt ihre Fantasie mit Bildern des Todes. Schweiß bedeckt ihre Haut, Schweiß, der den säuerlichen Geruch der Panik ausströmt. Ein exotisches Parfüm, nach dem er ganz wild ist. Er atmet es ein, und seine Erregung wächst.
»Was ist dann passiert?«, fragte Moore.
Keine
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