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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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zerbrechen.
    Sanft berührte er ihre Schulter. Sie zuckte nicht zurück, wich ihm nicht aus. Er drehte sie zu sich herum, schlang die Arme um sie und zog sie an seine Brust. Die Tiefe ihres Schmerzes erschütterte ihn. Er spürte, wie ihr ganzer Körper unter der Last bebte wie eine Brücke, an der Sturmwinde zerren. Sie gab keinen Laut von sich, doch er fühlte ihren zitternden Atem, ihr unterdrücktes Schluchzen. Er drückte seine Lippen auf ihr Haar. Er konnte nicht anders; ihre Not sprach irgendetwas tief in seinem Innern an. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste ihre Stirn, ihren Haaransatz.
    Sie verharrte reglos in seinen Armen, und er dachte: Ich bin zu weit gegangen. Rasch ließ er sie wieder los. »Es tut mir Leid«, sagte er. »Dazu hätte es nicht kommen dürfen.«
    »Nein. Allerdings nicht.«
    »Können Sie vergessen, dass ich es getan habe?«
    »Können Sie es?«, fragte sie leise.
    »Ja.« Er richtete sich straff auf. Und wiederholte es mit festerer Stimme, wie um sich selbst zu überzeugen. »Ja.«
    Sie sah auf seine Hand herab, und er wusste, worauf ihr Blick ruhte. Auf seinem Ehering. »Ich hoffe für Ihre Frau, dass Sie es können«, sagte sie. Ihre Bemerkung zielte auf sein schlechtes Gewissen, und sie traf.
    Er betrachtete seinen Ring, einen schlichten Goldreif, den er schon so lange getragen hatte, dass er mit seinem Finger verwachsen schien. »Ihr Name war Mary«, sagte er. Er wusste, was Catherine angenommen hatte: dass er seine Frau betrügen würde. Jetzt verspürte er das verzweifelte Bedürfnis, ihr alles zu erklären, sich in ihren Augen von der Sünde reinzuwaschen.
    »Es passierte vor zwei Jahren. Eine Blutung in ihrem Gehirn. Sie ist nicht gleich daran gestorben. Sechs Monate lang habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, habe darauf gewartet, dass sie wieder aufwacht …« Er schüttelte den Kopf. »Einen chronischen vegetativen Zustand haben die Ärzte das genannt. Mein Gott, wie ich dieses Wort gehasst habe – »vegetativ«. Als ob sie eine Pflanze oder irgendein Baum wäre. Nur noch ein armseliger Abklatsch der Frau, die sie einmal gewesen war. In den Monaten bis zu ihrem Tod hatte sie sich so verändert, dass ich sie nicht wiedererkannt habe. Ich konnte in ihr nichts mehr von Mary erkennen.«
    Ihre Berührung überraschte ihn. Nun war er derjenige, der beim ersten Kontakt zurückzuckte. Schweigend standen sie einander in dem grauen Licht gegenüber, das durch das Fenster fiel, und er dachte: Kein Kuss, keine Umarmung könnte zwei Menschen einander näher bringen, als wir uns in diesem Moment sind. Die intimste Erfahrung, die zwei Menschen miteinander teilen können, ist weder Liebe noch Lust, sondern Schmerz.
    Das Summen der Sprechanlage brach den Bann. Catherine blinzelte, als sei ihr plötzlich wieder eingefallen, wo sie war. Sie wandte sich zum Schreibtisch um und drückte auf die Sprechtaste.
    »Ja?«
    »Dr. Cordell, die Intensivstation hat eben angerufen. Sie werden da oben dringend gebraucht.«
    Moore erkannte an Catherines Blick, dass ihnen beiden der gleiche Gedanke gekommen war: Es ist etwas mit Nina Peyton.
    »Geht es um Bett zwölf?«, fragte Catherine.
    »Ja. Die Patientin ist gerade aufgewacht.«

11
    Nina Peytons Augen waren weit aufgerissen und blickten angstvoll umher. Ihre Hand- und Fußgelenke waren mit Vierpunktgurten an den Gitterstäben des Betts fixiert, und sie versuchte verzweifelt, ihre Hände zu befreien, sodass sich die Sehnen in ihren Armen schon als dicke Stränge abzeichneten.
    »Sie hat vor etwa fünf Minuten das Bewusstsein wiedererlangt«, erklärte Stephanie, die Schwester von der chirurgischen Intensivstation. »Zuerst fiel mir auf, dass ihr Puls sich erhöht hatte, und dann sah ich, dass ihre Augen offen waren. Ich habe versucht, sie zu beruhigen, aber sie wehrt sich immer noch gegen die Fixiergurte.«
    Catherine warf einen Blick auf den Herzmonitor. Sie erkannte einen sehr schnellen Herzrhythmus, aber keine Arrhythmien. Ninas Atem ging ebenfalls sehr schnell, gelegentlich unterbrochen durch einen explosionsartigen, keuchenden Husten, durch den Schleimklumpen aus dem Endotrachealtubus herausgeschleudert wurden.
    »Es ist der Tubus«, sagte Catherine. »Er versetzt sie in Panik.«
    »Soll ich ihr etwas Valium geben?«
    Moore, der in der Tür stand, sagte: »Wir brauchen sie bei vollem Bewusstsein. Wenn sie ruhig gestellt ist, können wir keine Antworten von ihr bekommen.«
    »Sie kann sowieso nicht mit Ihnen sprechen. Nicht solange der

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