Die Chorknaben
Stück den Gang entlang zu führen, während Roscoe mit dem schweigenden Schwarzen ein paar Meter die Treppe hinunterstieg.
»Machen Sie mir hier bloß keine Scherereien mehr«, flüsterte Roscoe, als sie sich außer Hörweite von den anderen befanden. »Ich mache doch gar keine Scherereien, Herr Wachtmeister«, entgegnete der Schwarze und sah zu den gnadenlosen Augen von Roscoe Rules auf, die jedoch kaum zu erkennen waren, da er sich seine Mütze so weit nach vorn gezogen hatten, daß der Schirm fast seine Nase berührte.
»Widersprechen Sie mir nicht ständig!« platzte Roscoe heraus. Seine Nasenflügel weiteten sich, als er die Angst des Mannes spürte, der nervös vor ihm stand.
»Wie heißen Sie?« fragte Roscoe.
»Charles Er Uh Henderson«, gab der Hilfsarbeiter Auskunft, um ungeduldig hinzuzufügen: »Hören Sie, ich möchte jetzt gern zu meiner Familie. Ich habe das Ganze gründlich satt und möchte nur noch ins Bett. Ich habe schwer gearbeitet …«
Damit kam er jedoch bei Roscoe Rules genau an den Richtigen, und er knurrte ihn an: »Jetzt hören Sie mal gut zu, Charles Er Uh Henderson; erzählen Sie mir nicht, was Sie tun werden. Wenn Sie wieder in Ihre Wohnung gehen können, werde ich Ihnen das schon sagen, wenn Sie heute überhaupt noch in Ihre Wohnung zurückgehen werden. Es könnte ja auch sein, daß Sie heute zur Abwechslung mal im Knast übernachten!«
»Weswegen denn? Ich habe doch nichts getan. Woher nehmen Sie das Recht …«
»Recht? Recht?« zischte Roscoe und besprühte den Schwarzen mit seinem Speichel. »Ein Wort noch, Mann, und ich buchte Sie ein! Und zwar persönlich! Und dann werden Sie sehen, wie Ihnen der Arsch auf Grundeis geht.« Wasmeinstdu-Dean brüllte zu Roscoe herunter und schlug vor, die beiden Streithähne auszutauschen. Sobald das geschehen war, versuchte er vergeblich, den aufgebrachten Schwarzen zu beruhigen.
Ein paar Minuten später hörte er dann Roscoe dem Mexikaner folgenden Rat geben: »Wenn diese Schnatterziege meine Frau wäre, würde ich ihr mal ordentlich in die Fotze treten!« Vor zwanzig Jahren hatte der Mexikaner noch eine volle Flasche Bier auf dem Kopf eines Mannes zerbrochen, bloß weil er seiner Frau zugelächelt hatte. Und vor zwanzig Jahren, als sie noch ein geschmeidiges, junges Mädchen mit einem sinnlichen Unterleib war, hätte er jeden Mann, ob Polizist oder nicht, erschossen, der sich eine solche Beleidigung erlaubt hätte. Roscoe wußte nichts über machismo und bemerkte nicht einmal das leichte, kaum wahrnehmbare Zucken des linken Augenlids des Mexikaners, wie ihm auch nicht bewußt wurde, daß diese stechend schwarzen Augen nicht mehr auf einen Punkt irgendwo zwischen dem Dienstabzeichen und der Krawatte von Roscoe Rules gerichtet waren, sondern auf sein Gesicht und auf die brauenlosen blauen Augen des großen Polizisten.
»Und jetzt geben Sie beide sich mal schön die Hand und vertragen sich wieder, damit wir gehen können«, ordnete Roscoe an.
»Was?« meinte der Mexikaner ungläubig, und selbst der Schwarze sah verständnislos auf.
»Ich habe gesagt, Sie sollen sich die Hände schütteln. Seien Sie doch vernünftig und vertragen Sie sich wieder. Die Sache ist bereinigt, und wenn Sie sich die Hand gegeben haben, fühlen Sie sich gleich besser.«
»Ich bin zweiundvierzig Jahre alt«, sagte der Mexikaner leise, wobei sein Lid diesmal deutlicher zuckte. »Alt genug, um Ihr Vater sein zu können. Und ich werde niemandem die Hand geben wie ein kleiner Junge auf dem Spielplatz.«
»Sie tun, was ich sage, oder Sie können im Knast übernachten«, erwiderte Roscoe, der daran denken mußte, wie sich in der Schule nach einer ordentlichen Schlägerei jeder besser gefühlt hatte und wie sie dann gemeinsam ein Bier getrunken hatten.
»Und warum?« fragte der Mexikaner, dessen Atem allmählich immer heftiger ging. »Können Sie mir vielleicht sagen, warum?«
»Sie haben beide getrunken«, entgegnete Roscoe, der einerseits allmählich das Vertrauen in seine Autorität verlor, andererseits zunehmend in Wut geriet über diese Aufmüpfigkeit, welche die seiner Ansicht nach bereits unter Kontrolle gebrachte Situation wieder einigermaßen gefährlich machte.
Roscoe war der festen Überzeugung – wie im übrigen die meisten Polizisten seines Schlages – daß das gesamte Gerüst der amerikanischen Exekutive in sich zusammenstürzen und in einer Staubwolke aufgehen würde, sobald man auch nur für einen Moment einen Rückzieher machte, wenn man sich
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