Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
sich eilig um. Die Drachenlanzen! Sie ließ das Schwert fallen und ergriff eine Lanze. Dann stieg sie die Treppen hoch.
Laurana erreichte die Zinnen und starrte über das Land, erwartete,
die schwarze Welle der Armee vorwärts rollen zu sehen. Aber das Land war wie leergefegt. Es gab nur einige Gruppen von Menschen, die herumstanden und um sich blickten.
Was hatte das zu bedeuten? Laurana war zu erschöpft, um nachzudenken. Sie wurde von Müdigkeit und Trauer erfüllt. Sie zog die Lanze hinter sich her und stolperte zu Sturms Körper, der im blutgefärbten Schnee lag.
Laurana kniete sich neben den Ritter. Sie strich sein Haar weg, um noch einmal einen Blick auf das Gesicht ihres Freundes zu werfen. Zum ersten Mal, seitdem sie ihn kannte, sah Laurana Frieden in Sturms leblosen Augen.
Sie hob seine kalte Hand und drückte sie an ihre Wange. »Schlafe, teurer Freund«, murmelte sie, »und laß deinen Schlaf nicht von Drachen stören.« Als sie dann die kalte weiße Hand auf die zerschmetterte Rüstung legte, sah sie etwas im Schnee funkeln. Sie hob einen Gegenstand auf, der so mit Blut beschmiert war, daß sie ihn nicht erkennen konnte. Sorgfältig säuberte sie ihn. Es war ein Juwel. Laurana starrte ihn erstaunt an.
Aber bevor sie sich fragen konnte, wie er hierhergekommen war, bemerkte sie einen dunklen Schatten. Laurana hörte das Quietschen riesiger Flügel, das Einatmen eines riesigen Körpers. Voller Angst sprang sie auf die Füße und wirbelte herum.
Ein blauer Drache war auf der Mauer hinter ihr gelandet. Steine gaben nach, als die großen Klauen Halt suchten. Die Flügel der Kreatur schlugen in der Luft. Vom Sattel auf dem Rücken des Drachen musterte ein Drachenfürst Laurana mit kalten, ernsten Augen hinter der entsetzlichen Maske.
Laurana wich einen Schritt zurück, von Drachenangst überwältigt. Die Drachenlanze glitt aus ihrer kraftlosen Hand, den Juwel ließ sie in den Schnee fallen. Sie drehte sich um, versuchte zu fliehen, aber sie sah nicht mehr, wohin sie ging. Sie stolperte und fiel zitternd in den Schnee neben Sturms Leichnam.
In ihrer lähmenden Angst konnte sie nur noch denken, daß es ein Traum war! Hier war sie gestorben – so wie Sturm gestorben war. Lauranas Sichtfeld war von blauen Schuppen erfüllt, als sich der riesige Hals der Kreatur über sie reckte.
Die Drachenlanze! Sie kroch durch den blutdurchtränkten Schnee, ihre Finger schlossen sich um den hölzernen Schaft. Sie wollte aufstehen und die Lanze in den Hals des Drachens stoßen.
Aber ein schwarzer Stiefel trat auf die Lanze, verfehlte gerade noch ihre Hand. Laurana starrte auf den glänzenden schwarzen Stiefel, dessen goldene Verzierungen in der Sonne leuchteten. Sie starrte auf den schwarzen Stiefel, der in Sturms Blut stand, und sie holte tief Luft.
»Wenn du diesen Körper berührst, wirst du sterben«, sagte Laurana leise. »Dein Drache wird nicht in der Lage sein, dich zu retten. Der Ritter war mein Freund, und ich lasse nicht zu, daß sein Mörder seinen Leichnam beschmutzt.«
»Ich habe nicht die Absicht, seinen Leichnam zu beschmutzen«, erwiderte der Drachenfürst. Er bewegte sich mit sorgfältiger Langsamkeit, als er sich bückte und sanft die Augen des Ritters schloß, die auf die Sonne gerichtet waren, die er niemals wieder sehen würde.
Der Drachenfürst erhob sich, musterte das Elfenmädchen, das im Schnee kniete, und nahm den Fuß von der Drachenlanze. »Verstehst du, er war auch mein Freund. Ich wußte es erst in dem Moment, als ich ihn tötete.«
Laurana starrte zum Fürsten hoch. »Ich glaube dir nicht«, sagte sie müde. »Wie kann das sein?«
Ruhig entfernte der Drachenfürst die entsetzliche gehörnte Drachenmaske. »Ich glaube, du hast von mir gehört, Lauralanthalasa. Das ist doch dein Name, oder nicht?«
Laurana nickte dumpf und erhob sich.
Die Drachenfürstin lächelte, es war ein bezauberndes, verworfenes Lächeln. »Und mein Name ist...«
»Kitiara.«
»Woher weißt du das?«
»Ein Traum . . .«, murmelte Laurana.
»Ach ja, der Traum.« Kitiara fuhr mit einer behandschuhten Hand über ihr dunkles, gelocktes Haar. »Tanis hat mir von diesem Traum erzählt. Ich vermute, ihr müßt ihn alle gehabt haben.
Er dachte zumindest, daß seine Freunde ihn auch gehabt hätten.« Die menschliche Frau blickte auf Sturms Leiche zu ihren Füßen. »Merkwürdig, nicht wahr, die Art, wie Sturms Tod Wirklichkeit wurde. Und Tanis sagte, daß sich auch für ihn der Traum bewahrheitet hätte; die
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