Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
»Tatsächlich nannten die Silvanesti den Fluß Thon-Sargon, das bedeutet Silberstraße. Es ist wirklich schade, daß das Wetter gerade ungünstig ist. Wenn der Silbermond voll ist, verwandelt sich der Fluß in geschmolzenes Silber und ist wirklich wunderschön.«
»Warum? Was ist die Ursache?« fragte der Kender und studierte voller Entzücken seine glänzende Hand.
»Niemand weiß es, obwohl es bei meinem Volk eine Legende gibt...« Silvara verstummte abrupt und errötete.
»Was für eine Legende?« fragte Gilthanas. Der Elfenlord saß Silvara gegenüber. Sein Paddeln war nicht viel besser als das von Flint, da Gilthanas mehr Interesse an Silvaras Gesicht als an seiner Arbeit zeigte. Immer wenn Silvara aufsah, starrte er sie an. Sie wurde immer verwirrter und nervöser.
»Es wird euch sicherlich nicht interessieren«, sagte sie und starrte über das silbergraue Wasser, um Gilthanas’ Blick auszuweichen. »Es ist eine Kindergeschichte über Huma . . .«
»Huma!« rief Sturm, der hinter Gilthanas saß, seine schnellen, kraftvollen Bewegungen machten die Unfähigkeit des Elfen und des Zwerges wett. »Erzähl uns eure Legende über Huma, Wild-Elfe.«
»Ja, erzähl uns eure Legende«, wiederholte Gilthanas lächelnd.
»Na schön«, sagte sie errötend. Sie räusperte sich und begann : »Wie die Kaganesti sagen, reiste Huma in den letzten Tagen der schrecklichen Drachenkriege durch das Land und
suchte bei den Leuten Hilfe.Aber ihm wurde zu seinem Bedauern klar, daß er machtlos war und die Verwüstungen und Zerstörungen durch die Drachen nicht aufhalten konnte. Er betete um eine Antwort zu den Göttern.« Silvara warf Sturm einen kurzen Blick zu, der andächtig nickte.
»Das stimmt«, sagte der Ritter. »Und Paladin erhörte sein Gebet und sandte ihm den weißen Hirsch.Aber niemand weiß, wohin er ihn führte.«
»Mein Volk weiß es«, sagte Silvara leise, »weil der Hirsch Huma nach vielen Prüfungen und Gefahren in ein ruhiges Wäldchen hier in das Land Ergod führte. In diesem Wäldchen traf er eine Frau, wunderschön und tugendhaft, die seinen Schmerz linderte. Huma verliebte sich in sie und sie sich in ihn. Aber viele Monate lang erhörte sie seine Liebesschwüre nicht. Schließlich erwiderte sie Humas Liebe, nicht mehr fähig, das eigene brennende Feuer zu verneinen. Ihr Glück war wie der silberne Mondschein in einer Nacht schrecklicher Dunkelheit.«
Silvara verstummte einen Moment, ihre Augen starrten in die Ferne. Geistesabwesend strich sie über das grobe Gewebe des Umhangs, in dem die Kugel der Drachen zu ihren Füßen lag.
»Fahr fort«, drängte Gilthanas. Der Elfenlord hatte aufgehört so zu tun, als würde er paddeln, und saß einfach nur da, verzaubert von Silvaras wunderschönen Augen, von ihrer wohlklingenden Stimme.
Silvara seufzte. Sie ließ das Gewebe aus ihren Händen gleiten und starrte über das Wasser. »Ihre Freude war nur von kurzer Dauer«, sagte sie leise. »Denn die Frau hatte ein schreckliches Geheimnis – sie war nicht als Frau, sondern als Drache geboren worden. Nur durch ihre Magie konnte sie die Gestalt einer Frau annehmen. Aber sie konnte Huma nicht länger anlügen. Sie liebte ihn zu sehr. Ängstlich offenbarte sie Huma, wer sie wirklich war und erschien vor ihm eines Nachts in ihrer wahren Gestalt – der Gestalt eines silbernen Drachen. Sie hoffte, er würde sie hassen, sie vernichten, denn ihr Schmerz war so stark, daß sie nicht länger leben wollte. Aber als der Ritter auf
das strahlende, wunderbare Wesen blickte, sah er in seinen Augen den edlen Geist der Frau, die er liebte. Ihre Magie verwandelte sie wieder in die Gestalt einer Frau, und sie betete zu Paladin, daß er ihr die menschliche Gestalt für immer geben würde. Sie wollte ihre Magie und die lange Lebensspanne der Drachen aufgeben, um mit Huma zusammenzuleben.«
Silvara schloß die Augen, ihr Gesicht war schmerzvoll verzogen. Gilthanas, der sie beobachtete, fragte sich, warum sie von dieser Legende so berührt war. Er streckte seine Hand aus und berührte sie. Sie zuckte wie ein wildes Tier zusammen und zog sich so schnell zurück, daß das Boot schaukelte.
»Es tut mir leid«, sagte Gilthanas. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Was geschah weiter?«
Silvara holte tief Luft. »Paladin erfüllte ihr den Wunsch – mit einer schrecklichen Bedingung. Er zeigte beiden die Zukunft. Wenn sie ein Drache bleiben würde, könnten sie und Huma die Drachenlanze und die Macht erhalten, die bösartigen
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