Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
Augenbrauen zogen sich zusammen. »Die Herrschaften und dein Bruder sind noch unten.Wir sollten mit ihnen besprechen, wie wir diese Angelegenheit am besten handhaben...«
»Ich bespreche nichts«, stellte Laurana klar und hob ihr Kinn in der alten gebieterischen Weise, die der Zwerg nur zu gut kannte. »Ich bin der General. Ich werde entscheiden.«
»Vielleicht solltest du jemanden um Rat fragen . . .«
Laurana musterte den Zwerg mit bitterer Belustigung. »Wen denn?« fragte sie. »Gilthanas? Was sollte ich ihm sagen? Daß Kitiara und ich Liebhaber austauschen? Nein, wir werden es niemandem sagen. Was würden die Ritter mit Bakaris anstellen?
Ihn nach ritterlichem Ritual hinrichten. Sie schulden mir etwas für das, was ich für sie getan habe. Ich nehme Bakaris als Lohn.«
»Laurana«, Flint suchte verzweifelt nach einem Weg, ihre eisige Maske zu durchdringen, »es gibt ein Protokoll, das bei einem Austausch von Gefangenen befolgt werden muß. Du hast recht. Du bist der General, und darum solltest du wissen, wie wichtig das ist! Du hast lang genug am Hof deines Vaters gelebt . . .« Das war ein Fehler. Der Zwerg brach sofort ab, als es ihm klar wurde, und verfluchte sich.
»Ich bin nicht mehr am Hof meines Vaters!« fuhr Laurana ihn an. »Zur Hölle mit dem Protokoll!« Sie erhob sich und musterte Flint kühl, als ob sie ihn gerade erst kennengelernt hätte.
»Ich danke euch, mir die Nachricht überbracht zu haben. Ich muß vor Morgenanbruch noch eine Menge erledigen.Wenn ihr irgend etwas für Tanis übrig habt, dann geht bitte in eure Zimmer zurück und sagt niemandem etwas davon.«
Tolpan warf Flint einen alarmierten Blick zu. Der Zwerg errötete und versuchte eilig, seinen Fehler wiedergutzumachen.
»Nun, Laurana«, sagte er schroff, »nimm dir meine Worte nicht zu Herzen. Wenn du diesen Entschluß getroffen hast, werde ich dich unterstützen. Ich bin nur ein alter, brummiger Großvater, das ist alles. Ich mache mir Sorgen um dich, auch wenn du ein General bist. Und du solltest mich mitnehmen – wie es im Brief steht...«
»Und mich auch!« schrie Tolpan entrüstet.
Flint funkelte ihn wütend an, aber Laurana bemerkte es nicht. Ihre Miene wurde weicher. »Ich danke dir, Flint. Dir auch, Tolpan«, sagte sie müde. »Es tut mir leid, daß ich euch angefahren habe. Aber ich glaube wirklich, ich sollte allein gehen.«
»Nein«, entgegnete Flint starrköpfig. »Ich sorge mich um Tanis genauso wie du. Wenn es wirklich stimmt, daß er im...«, der Zwerg schluckte und wischte mit einer Hand über seine Augen. Dann würgte er den Klumpen in seiner Kehle hinunter. »Ich will bei ihm sein.«
»Ich auch «, murmelte Tolpan gedämpft.
»Nun gut.« Laurana lächelte traurig. »Ich kann es verstehen. Und ich bin sicher, auch er will euch dabeihaben.«
Sie klang so sicher, so überzeugt, daß sie Tanis sehen würde. Der Zwerg erkannte es in ihren Augen. Er machte einen letzten Versuch. »Laurana, was ist, wenn es eine Falle ist? Ein Hinterhalt. . .«
Lauranas Miene gefror wieder. Ihre Augen verengten sich wütend, und Flint schwieg. Er blickte zu Tolpan. Der Kender schüttelte den Kopf.
Der alte Zwerg seufzte.
H ier ist es, Herr«, sagte der Drache, ein riesiges rotes Ungeheuer mit glänzenden schwarzen Augen und einer Flügelspanne, die wie die Schatten der Nacht war. »Burg Dargaard. Warte, im Mondschein kannst du es deutlich erkennen . . . wenn sich die Wolken teilen.«
»Ich sehe es«, erwiderte eine tiefe Stimme. Der Drache, der den messerscharfen Zorn in der Stimme des Mannes hörte, begann eilig mit dem Abstieg, überprüfte kreisend die schwankende Luftströmung in den Bergen. Nervös beäugte der Drache die Burg, die von den Felsen des zerklüfteten Gebirges umgeben
war, und hielt nach einem Platz Ausschau, wo er sanft und problemlos landen konnte. Es wäre nicht gut, Lord Ariakus durchzuschütteln.
Am nördlichsten Ende der Dargaard-Berge lag ihr Ziel – Burg Dargaard, so düster und unheilvoll wie ihre Legenden. Einst, als die Welt jung gewesen war, hatte Burg Dargaard die Gebirgsgipfel geschmückt, ihre rosenfarbenen Mauern hatten sich in anmutiger, mitreißender Schönheit von den Felsen in der Ebenmäßigkeit einer Rose abgehoben. Aber jetzt, dachte Ariakus grimmig, war die Rose verwelkt. Der Drachenfürst war keineswegs ein poetischer Mann. Aber die feuergeschwärzte, zerfallene Burg auf dem Fels sah einer verblühten Rose an einem sterbenden Strauch so ähnlich, daß ihn das Bild heftig
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