Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
gerade anvertraut habe, dass ich sie wie eine Tochter liebe?« Sharif lachte leise. Diesmal klang es ehrlich. »Oh nein! Sie ist kein Kind mehr, und ich habe kein Recht, mich noch weiter in ihr Leben einzumischen, als ich es sowieso schon getan habe. Und außerdem …« Ersah ihn nun doch und jetzt eindeutig amüsiert, vielleicht sogar ein bisschen schadenfroh an. »… hatte ich persönlich nicht den Eindruck, dass sie Eure Gefühle unbedingt erwidert.«
Andrej konnte gerade noch den Impuls unterdrücken, die Finger auf das Handgelenk zu legen, das Murida mit ihrem Dolch durchbohrt hatte. Sharif sah trotzdem kurz hin. Andrej musste seine Gedanken nicht lesen, um zu wissen, was hinter seiner Stirn vorging. Die Wunde war verschwunden, kaum dass er das Messer aus dem Arm gerissen hatte, aber der Stoff war zerrissen, und sein Blut hatte hässliche dunkle Flecken darauf hinterlassen. Nicht, dass das etwas Besonderes gewesen wäre – Andrej trug kein Kleidungsstück mehr am Leib, das nicht zerrissen, zerschnitten, zerfetzt und mit Blut und Schmutz oder etwas anderem besudelt war. In diesem Punkt unterschied ersieh kaum von den anderen Männern. Doch die Haut unter den Rissen und Schnitten war unversehrt, selbst die tiefe Fleischwunde, die das Krokodil ihm zugefügt hatte, war kaum noch zu sehen. Sharif hätte blind sein müssen, um es nicht zu bemerken, oder doch zumindest dumm. Und er war weder das eine noch das andere.
»Wenigstens müssen wir jetzt nicht mehr nach ihr suchen«, sagte er.
Sharifs Blick wanderte von seiner Hand zu dem zerrissenen Stoff über seiner Brust und wieder zurück. »Wahrscheinlich hätten wir das nie gemusst«, sagte er dann jedoch nur. »Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass wir sie verfolgt haben, sondern die Machdiji uns.« »Ja, dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte Andrej. »Die Falle war gut vorbereitet. Ich würde den, der sie gestellt hat, ja gebührend bewundern, wenn ich nicht auch zu denen gehören würde, die hineingetappt sind.« Er hob die Schultern. »Ich verstehe nur nicht, warum.« »Aber liegt das denn nicht auf der Hand?«, fragte Sharif. »Nicht für mich.« Schritte näherten sich ihnen. Wie ein biblischer Racheengel trat Fernandes aus der Dunkelheit heraus auf Sharif zu, auf dem Gesicht eine Mischung aus Bestürzung und kaum noch beherrschter mörderischer Wut, die linke Hand auf dem Schwertgriff, was ihm ein seltsam unbeholfenes Aussehen verlieh. Sein rechter Arm hing in einer Schlinge, die er aus einem Stoffstreifen improvisiert hatte. »Aber ich würde es gerne verstehen!« »Sie haben uns nur zeigen wollen was passiert, wenn wir an ihnen vorbeiwollen«, antwortete Sharif, der sich nicht im Mindesten von Fernandes’ Auftauchen überrascht zeigte. »Das ist alles.« »Aber sie haben mehr Männer verloren als Ihr!«
»Umso besser für den Machdi und seine Anhänger«, antwortete Sharif.
»Was soll das heißen?«, fragte Fernandes. »Nichts anderes als das, was ich sage. Es ist eine Botschaft an den Sultan, Capitan. Noch bevor die Sonne das nächste Mal untergeht, wird er erfahren, was hier geschehen ist, und er wird es verstehen. Und wenn nicht er, dann alle anderen in seinem Reich. Er hat seinen besten Mann losgeschickt und seine besten Soldaten, und der Machdi hat sie ausgelöscht.« Ein dünnes, sehr bitteres Lächeln huschte über seine Lippen und verschwand wieder. »Was glaubt Ihr, was das für Sultan Süleyman bedeutet und für seine Macht über das Volk?« »Und Ihr habt gewusst, dass man uns eine Falle stellen würde?« Fernandes’ Stimme war mit einem Male so flach, dass sie kaum noch lebendig klang, und seine Hand schloss sich fester um den Schwertgriff. Wären wir dann hier, du Narr? Sharif machte sich nicht einmal die Mühe, die Worte auszusprechen, sondern wandte sich wieder dem brennenden Schiff zu. Die Flammen hätten sich längst selbst verzehren sollen, aber sie schienen immer nur noch höher zu schlagen, und mit dem Gestank von brennendem nassem Holz und verschmorendem Fleisch wehte noch ein anderer, süßlicher Geruch zu ihnen, den Andrej weder genau benennen konnte noch wollte.
»Aber das ist doch Wahnsinn«, murmelte Fernandes. »So ein Angriff ohne Rücksicht auf eigene Verluste … so etwas tut doch kein … kein normaler Mensch!«
»Deshalb habt Ihr sie ja auch gerade als Wahnsinnige bezeichnet, Capitan, nicht wahr?«, fragte Sharif. »Und ich fürchte, dass das Unternehmen vielleicht noch nicht einmal ganz so wahnsinnig
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