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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Köstering
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1. Kapitel
     
    Montag, 23. August 2004. Der Tag, an dem wir Abschied nahmen.
     
    A lles begann
an einem heißen Sommertag im August des Jahres 2004. An solch einem Tag mit klarem
Himmel und prallem Sonnenschein ist es fast unmöglich zu frieren. Doch ich fror.
Rechts hielt ich Hannas Hand, auch die war kalt. Links hatte sich ihre Mutter
bei mir eingehakt. Wir standen auf dem Weimarer Friedhof und sahen zu, wie Herrn
Büchlers Sarg langsam in die Erde hinabgelassen wurde. Sehr langsam. Und sehr
vorsichtig. Die Sargträger befürchteten wohl, dass ihnen die Gurte aus den schweißnassen
Fingern gleiten würden. So blieb noch etwas Zeit, uns endgültig von ihm zu verabschieden
– vom Ehemann, vom Vater, vom Mentor.
    Herr Büchler hatte mir die Sinne
geöffnet, in meiner Jugendzeit, in der ich die Sommerferien regelmäßig bei meinen
Großeltern in Weimar verbrachte. Oft hatte ich Hanna und ihre Eltern besucht. Ihre
Mutter hatte mich immer den ›Hendrik von nebenan‹ genannt . Und ihr Vater
hatte meine Gedanken auf das vorbereitet, was kommen sollte: Literatur. Insbesondere
Goethe. Ich hatte seinen Geist in mich aufgenommen, ohne es zu merken. Viel später
erst, vor einigen Jahren, war mir das klar geworden. Aber da war es für Hannas Vater
bereits zu spät. Er saß auf dem Planeten namens Alzheimer und hatte kein Raumschiff
mehr, um zu uns zurückzukehren. Manchmal nur, einige wenige Male noch, konnte er
uns durch den verspiegelten Astronautenhelm erkennen.
    Der Sarg wurde aufgesetzt, die Sargträger
zogen die Gurte heraus und traten beiseite. Zum Abschluss sagte der Pfarrer: »Der
Tod ist nichts Endgültiges.«
    Ich dachte an meinen Vater.
Er starb, als ich 18 Jahre alt war. Oft stellte ich mir vor, er könne mir von ›oben‹
zusehen. Und ich tat dann Dinge, von denen ich meinte, sie könnten ihm gefallen.
Selbst heute noch, mit Ende 40. Ist der Tod wirklich nichts Endgültiges?
    Auch Kriminalhauptkommissar Siegfried
›Siggi‹ Dorst und seine Freundin Ella waren gekommen, obwohl er wegen eines ungeklärten
Todesfalls in Denstedt alle Hände voll zu tun hatte und das gesamte vergangene Wochenende
gearbeitet hatte. Siggi und ich waren seit einigen Jahren befreundet. Ich hatte
ihn sofort an seinem leuchtenden Kahlkopf erkannt, er stand ruhig und in sich gekehrt
hinter uns. Mein Cousin Benno Kessler und seine Frau Sophie standen neben ihm, dahinter
Cindy und John, unsere amerikanischen Freunde. Viele Nachbarn aus der Humboldtstraße
waren gekommen, auch einige frühere Arbeitskollegen des Verstorbenen.
    Alle warteten darauf, dass Frau
Büchler ein Schäufelchen Erde auf den Sarg werfen würde. Doch sie traute sich nicht.
Es schien, als wäre sie nicht in der Lage, dies allein zu tun. Ich musste ihr und
Hanna wohl unbewusst ein Zeichen gegeben haben, irgendeine Bewegung vielleicht.
Gleichzeitig gingen wir alle drei zögerlich die wenigen Schritte bis zum Grab. Ich
ergriff eine Schaufel voll Erde und reichte sie Frau Büchler. Hanna weinte, die
Erde fiel hinab. Frau Büchler blickte versteinert in das Grab, und Hanna warf eine
Rose hinunter zu ihrem Vater. Wir standen noch eine Weile neben dem Erdhügel, der
darauf wartete, Herrn Büchler für immer zu bedecken. Blumen und Kränze wurden herbeigebracht.
Wir schüttelten Hände, die Leute murmelten irgendwelche Standardformeln, leise,
fast unverständlich. Angesichts des Todes fällt einem wenig Sinnvolles ein. Hanna
merkte, dass ihrer Mutter diese Zeremonie sehr schwerfiel. Sie zog sie langsam vom
Grab weg. Wir ließen die anderen stehen und gingen einen kleinen Weg zwischen hohen
Bäumen entlang. Es war ein wunderschöner, heller Tag – rein äußerlich.
    Hanna blieb stehen. Sie zeigte auf
einen kleinen, efeubewachsenen Grabstein: ›Jens Werner Gensing 1979-1998‹. Wir blickten
uns stumm an. Vor sechs Jahren waren wir beide an der Jagd nach dem Goethehausdieb
beteiligt, waren Mitglieder der mit den Initialen von Goethe benannten Sonderkommission
JWG. Damals hatte ich Siggi kennengelernt. Unweit von hier, in der Fürstengruft,
war der Täter erschossen worden. Und hier lag er begraben.
    Wir trafen uns im Café ›Christoph
Martin‹ am Wielandplatz. Cindy und John waren bereits nach Hause gegangen, sie kannten
die deutsche Gepflogenheit des Beerdigungskaffees nicht. Eigentlich kann ich Beerdigungskaffees
auch nicht leiden. Oft genug wurde der Toten in keiner Weise gedacht, man freute
sich zuweilen sogar, sich endlich einmal wiederzusehen, ist ja schon

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