Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
Sharif erstaunte ihn wieder, indem er auch darauf nur mit einem fast amüsierten Blick reagierte. »Wie viele Krämer kennt Ihr, deren Läden mit zwei Kanonen bewaffnet sind?« »Nicht viele«, gestand Andrej. »Aber ich bin auch kein Kaufmann.«
»Aber möglicherweise ein wenig naiv, scheint mir. Habt Ihr Euren Freund denn gar nicht gefragt, warum er sich ausgerechnet dieses Schiff ausgesucht hat?« Andrej schüttelte stumm den Kopfwarum hätte er das tun sollen? Als hätte er die Frage laut ausgesprochen, fuhr Sharif fort: »Dann seid Ihr entweder naiv, Eurem schwarzen Freund vorbehaltlos zu vertrauen, oder er ist naiver, als es ein Mann in Zeiten wie diesen sein sollte. Ich kenne Capitan Fernandes und die Elisa. Er und sein Schiff genießen einen gewissen Ruf … oder was glaubt Ihr, warum ich ausgerechnet dieses Schiff ausgesucht habe? Er mag ein Kaufmann sein, aber er ist auch ein Pirat, wenn es sich gerade ergibt. Es hätte mich nicht weiter überrascht, wenn Euer Freund und Ihr Euch am ersten Morgen Eurer Passage in Ketten wiedergefunden hättet.« Der Einzige, der wirklich überrascht gewesen wäre, hätte er tatsächlich etwas so Dummes versucht, wäre Fernandes selbst gewesen, dachte Andrej. Sharifs Behauptung mochte grotesk klingen, und der Janitscharenhauptmann war ganz gewiss niemand, dem er einfach so glaubte, doch irgendetwas, und sei es nur die Erfahrung eines sehr langen Lebens, die ihn gelehrt hatte, dass die Dinge selten so waren, wie sie aussahen, sagte ihm, dass diese Worte vielleicht nicht aller Wahrheit entbehrten.
»Ich werde vielleicht meinen eigenen Rat beherzigen und mich ein wenig ausruhen«, sagte er. »Und mit Abu Dun Euer Angebot beratschlagen.«
»Ich dachte, Ihr hättet Euch schon entschieden?«
»Das dachte ich auch«, antwortete Andrej. »Aber vielleicht sollte ich doch zuerst mit Abu Dun reden, statt seine Antwort einfach vorauszusetzen. Alles andere wäre naiv.«
Und damit ließ er Sharif einfach stehen und ging.
Kapitel 16
Abu Dun zu finden, erwies sich als nicht sonderlich schwer. Schon von Weitem hörte er sein Gebrüll, und als er den Kreis aus kleinen Feuern endlich erreichte, verstand er auch den Grund.
Der Nubier hockte mit untergeschlagenen Beinen da und ließ eine beständige Schimpfkanonade auf einen etwas kleineren Mann hinabregnen, der vor ihm kniete und sich an seiner rechten Hand zu schaffen machte, von der die Fetzen eines blutgetränkten Verbandes herabhingen. Noch mehr blutiges Verbandszeug lag neben ihm auf dem Boden. »Was ist mit deiner Hand?« fragte Andrej besorgt.
»Ein Kratzer«, grollte Abu Dun. »Ich würde es nicht einmal fühlen, wenn dieser Hund nicht sein Bestes täte, um mir das Fleisch von den Knochen zu reißen!« Prompt versetzte er dem Hund einen Stoß mit der unversehrten Hand, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte und auf den Rücken fallen ließ. Einige wenige Männer in ihrer Umgebung lachten, aber die meisten blickten nur verärgert oder auch betroffen und murrten unwillig.
Andrej ignorierte es, denn nun gesellte sich auch wachsende Bestürzung zu seiner Sorge. Abu Duns Ärger war ebenso echt wie das Blut auf seiner Hand.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Abu Dun oder auch er Verletzungen vortäuschten oder sich sogar selbst zugefügt hätten, um den Schein zu wahren. Sterbliche Menschen reagierten manchmal irritiert, wenn Männer, die gerade noch heftig geblutet hatten, mit einem Male wieder vollkommen unversehrt vor ihnen standen. Aber das hier war anders, das spürte er.
»Du weißt, was ich meine«, sagte Andrej, bugsierte den unglückseligen Sanitäter, der sich gerade wieder hochrappeln und erneut nach Abu Duns Hand greifen wollte, kaum weniger unsanft aus dem Weg als der Nubier zuvor und griff dann auch nicht unbedingt sanfter zu.
Abu Duns Reaktion überraschte und erschreckte ihn zugleich. Die Mundwinkel des Nubiers zuckten vor Schmerz, der nicht geschauspielert war. Zugleich loderten seine Augen in so jäher Wut auf, dass Andrej sich nicht nur instinktiv spannte, sondern um ein Haar auch in eine Abwehrposition gegangen wäre. »Verdammt, Pirat«, zischteer. »Noch einmal: Was ist los mit dir?«
Abu Dun stieß ihn nun tatsächlich ein kleines Stück von sich, hart genug, um ihn das Gleichgewicht verlieren und auf dem Hosenboden landen zu lassen. Gleichzeitig wölbten sich die gewaltigen Muskeln des Nubiers unter seinem Gewand, und seine Augen loderten in schierem Jähzorn. Für den Bruchteil eines Lidschlages war
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