Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
um möglichst viele Feinde mit sich ins Verderben zu reißen.
Eine plötzliche Welle traf die Dau. Schreie gellten, und es stank nach brennendem Holz und versengtem menschlichem Fleisch. Eine brodelnde schwarze Rauchwolke erhob sich über dem Fluss. Andrej wandte den Blick ab, doch vor den lautlosen Todesschreien weiterer sinnlos erlöschender Leben konnte er seine Sinne nicht verschließen.
»Warum, Murida?«, wandte er sich an das Mädchen.
»Warum dieser Hass?«
Murida sah ihn einen Atemzug lang nur an, dann, immer noch schweigend, drehte sie sich halb herum und hob den Arm, um in die Richtung zu deuten, aus der sie gekommen waren, zurück zum Ufer. Andrejs Blick folgte der Bewegung, und im allerersten Moment wusste er nicht, was sie meinte, weil der gesamte Fluss in Flammen zu stehen schien. Doch dann traf ihn die Erkenntnis.
Auch am Ufer brannte es. Die Entfernung war schon zu groß, um Einzelheiten zu erkennen, selbst für ihn, aber das wenige, was er sah, war mehr, als er sehen wollte. Der gesamte Ort stand in Flammen. Wie ein riesiger Schwarm Feuerkäfer hingen die Funken über dem zentralen Platz.
Die Entfernung war zu groß, um Schreie zu hören, doch Andrej wusste, dass es sie gab.
Sekundenlang stand er einfach so da, ohne zu atmen, ohne zu denken, ungläubig – dann fuhr er herum und musste sich zusammenreißen, um Sharif nicht zu packen und wild zu schütteln. »Warum?«, brachte er mühsam heraus.
»Als Warnung an alle anderen, die mit dem Gedanken spielen, sich mit den Feinden des Sultans zusammenzutun«, antwortete Sharif kalt. »Sie sollen sehen, was geschieht.«
»Glaubt Ihr denn, sie hätten ihnen eine Wahl gelassen?«, flüsterte Andrej entsetzt.
»Und glaubt Ihr, ich hätte eine Wahl?«, erwiderte Sharif. Er schnaubte abfällig, wie als Reaktion auf eine Antwort, die Andrej ihm gar nicht gegeben hatte, drehte sich halb zu einem seiner Männer herum und machte eine Kopfbewegung auf dessen Waffe zu. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, mischte sich Abu Dun ein. »Wenn Ihr auf sie schießen lasst, werden sie zurückfeuern«, sagte er.
»So etwas soll im Krieg vorkommen«, erwiderte Sharif, bedeutete dem Mann aber trotzdem mit einer Geste, noch einen Moment zu warten, und wandte sich dann fragend und fordernd zugleich an Andrej. »Dann habt Ihr doch sicher einen besseren Plan, uns aus dieser misslichen Lage hinauszumanövrieren, Admiral?« Andrej fand den Spott in seinen Worten dem Moment völlig unangemessen, schluckte aber die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter und zwang sich, die näher kommenden Schiffe noch einmal genauer in Augenschein zu nehmen. Ihre Zahl war auf drei angewachsen, und man musste kein Meisterstratege sein, um zu erahnen, dass es auch dabei nicht bleiben würde.
»Abu Dun hat recht«, sagte er, nachdem er eine Zeit lang wenigstens so getan hatte, als hätte er angestrengt nachgedacht. »Haltet Euch bereit, aber die Männer sollen noch nicht feuern. Pirat!«
Abu Dun drängelte und schubste sich zum Ruder am Heck des kleinen Bootes durch, das er auch mit einer Hand noch bedienen konnte, und Andrej trat an den Mast. Er war alles andere als ein meisterhafter Segler, doch die Erfahrung, die Sharifs Männer mit Wasser hatten, beschränkte sich wohl tatsächlich darauf, es zu trinken. Und im Land der Blinden war der Einäugige schon immer König gewesen. Mit einigen wenigen Kommandos, deren Tonfall deutlich mehr Selbstvertrauen ausstrahlte, als er in Wahrheit empfand, wies er die Männer an, die Taue zu straffen und das dreieckige Segel ein wenig zu neigen. Und das Wunder geschah tatsächlich: Die Dau schüttelte sich verärgert, aber sie wurde spürbar schneller. Wahrscheinlich war es nur Glück.
Zumindest Sharif sah ebenso überrascht aus, wie er sich fühlte, beließ es aber auch bei einem angedeuteten spöttischen Verziehen der Lippen und starrte weiter dem feindlichen Schiff entgegen. Sie waren immer noch zu langsam, die Verfolger würden sie jetzt ein Stück jenseits der Flussmitte einholen, doch dass sie sie einholen würden, daran bestand kein Zweifel, und letzten Endes war das alles, was zählte.
»Es ist sinnlos«, sagte er finster, überlegte kurz und riss dem Mann neben sich dann die Muskete aus der Hand. Bevor Andrej begriff, was er tat, hatte er auch schon angelegt und geschossen. Die Mündungsflamme versengte die Wange des Mannes vor ihm, und der peitschende Knall sorgte wahrscheinlich dafür, dass er auf diesem Ohr nie wieder etwas hören
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