Die Chronik der Unsterblichen 13 - Der Machdi
fast unheimliche Weise bekannt war. Ein Echo aus einer lange zurückliegenden Zeit, wie die Erinnerung an etwas, das sie selbst niemals erlebt hatte. Dann war der Moment vorbei, und er meinte, in ihren Augen Verwirrung und Wiedererkennen zu sehen. Dann gewann die Verwirrung die Oberhand. Murida wich vor ihm zurück, prallte jedoch gegen den hinter ihr stehenden Mann. Sie räusperte sich unecht, als hätte sie es darauf angelegt, den Moment noch peinlicher zu machen. Andrej konnte ein nachsichtiges Lächeln nicht ganz unterdrücken. Prompt blitzte es in Muridas Augen wütend auf. »Wie könnt Ihres wagen, mich anzurühren, Ungläubiger?«, fuhr sie ihn an, ganz gewiss nicht zufällig laut genug, um von mindestens der Hälfte der Männer an Bord gehört zu werden.
»Lass dieses Spielchen, Kind«, antwortete Andrej müde. »Dafür ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment.« Hasserfüllt starrte sie ihn an, beließ es dann aber dabei, und die zornige Entgegnung, die Andrej erwartete, kam nicht. Sie wäre auch nicht echt gewesen. Andrej spürte, dass unter diesem aufgesetzten Zorn noch mehr war, etwas genau Gegenteiliges, das sie mühsam zurückzuhalten versuchte, ohne dass es ihr wirklich gelang. Konnte es sein, dachte er, dass sie dasselbe spürte wie er? Wenn ja, wäre es schlimm, denn es gab Dinge, die er nie wieder zulassen würde.
Der peitschende Knall eines Schusses wehte über das Wasser zu ihnen. Als Andrej herumfuhr, sah er eine schwarze Gestalt aus einem der Boote kippen. Offensichtlich war es jedoch nur ein Glückstreffer gewesen, den einer der Machdiji erzielt hatte, denn es folgte zwar eine ganze Reihe weiterer krachender Schüsse, die aber nur das Wasser rings um das Schiff aufspritzen ließen, zum größten Teil in gehöriger Entfernung. Die Antwort der Janitscharen fiel dafür umso massiver aus. Auch eingepfercht auf einem schwankenden, überfüllten Schiff, waren diese Männer die besten Schützen ihres Landes, und sie stellten es auf mörderische Art unter Beweis: Das Boot verschwand hinter einer brodelnden Wolke aus Pulverdampf und orangefarbenen Mündungsblitzen. Die Wirkung auf ihre Gegner war nicht minder verheerend. Drei, vier, fünf Männer stürzten getroffen über Bord und versanken bis auf einen in den schlammigen Fluten, andere wurden zurück auf das Boot und zwischen ihre Kameraden geschleudert. Faustgroße Löcher erschienen in dem schmutzigen Segel, und verirrte Kugeln sprengten Holzsplitter aus Rumpf und Mast, die zu gefährlichen Geschossen wurden. Andrej schätzte, dass allein der ersten Salve ein Viertel der Besatzung zum Opfer fiel, wenn nicht mehr. Jeder andere Gegner hätte angesichts solcher Verluste beigedreht und sein Heil in der Flucht gesucht.
Die Machdiji taten das Gegenteil. Das Schiff schwenkte herum, schwerfällig und zitternd und unaufhaltsam, und nahm direkten Kurs auf das überfüllte Ruderboot. Die Janitscharen feuerten weiter, ihre Kugeln zerfetzten Segel, Holz und Fleisch mit derselben beiläufigen Unbarmherzigkeit, doch die Katastrophe war nicht aufzuhalten. Das Ruderboot begann schwerfällig zu beschleunigen, und Sharifs Männern gelang es sogar noch, eine dritte, koordinierte Salve abzufeuern, die den kompletten Bug der Dau in eine Wolke aus zersplitterndem Holz und spritzendem Blut verwandelte, dann prallten die beiden Boote mit vernichtender Wucht zusammen. Statt Schüssen hörte man nun Schreie und das Geräusch von splitterndem Holz, Männer wurden über Bord geschleudert oder von fliegenden Trümmern aufgeschlitzt, und irgendetwas explodierte im Heck der Dau und schleuderte flüssiges Feuer in alle Richtungen. Andrej hätte sich gerne abgewandt oder zumindest die Augen geschlossen, doch der Anblick schlug ihn zugleich auch in seinen Bann. Die brennende Dau war zwar schwer beschädigt, dennoch aber viel größer als das zerbrechliche Ruderboot und um ein Mehrfaches schwerer. Das kleine Boot wurde einfach auf die Seite geworfen und zermalmt, bevor die Dau es wie eine schwimmende Axtklinge spaltete. Trümmerstücke und lodernde Gestalten wurden über Bord geschleudert oder auch unter den Rumpf des größeren Schiffes gedrückt, das sich allmählich auf die Seite legte und binnen Kurzem ebenfalls sinken würde. Die Flammen schlugen hoch, und es waren längst nicht mehr nur die Machdiji, die in schierer Todesangst schrien.
Brennende Trümmerstücke brachten die Fluten des Nil zum Kochen, verzweifelte Männer suchten irgendeinen Halt, an den sie sich klammern
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