Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
wir sollten tatsächlich anfangen. Glaubst du, du kommst damit zurecht?«
Der Magier nickte und versuchte erfolglos zu lächeln. Sartol führte ihn zur Tür und blieb auf der Schwelle noch einmal stehen, um Niall die Hand auf die Schulter zu legen. »Wir sehen uns bald im Versammlungssaal, mein Freund. Ich danke dir für alles, was du getan hast. Alle Menschen dieses Landes stehen in deiner Schuld.«
Niall sah ihn einen Augenblick mit undurchschaubarer Miene an. Dann drehte er sich wortlos um und ging quer durch die Halle auf das große Tor am anderen Ende zu. Sartol schloss die Tür zu seinem Zimmer und gestattete sich ein breites Grinsen. Niall hatte sich als wertvoller erwiesen, als er sich jemals hätte vorstellen können. Vielleicht würde er sein Versprechen, den Eulenmeister zu seinem Ersten zu machen, tatsächlich einhalten - zumindest, bis er den Rufstein vollkommen beherrschte. Warum den alten Mann nicht ein wenig glücklich machen?
Aber als Erstes würde er sich nun Baden vom Hals schaffen. Er warf einen Blick zu seiner Eule, die immer noch ruhig auf dem Kaminsims saß. »Ja«, sagte Sartol zu ihr, als wollte er etwas bestätigen, was sie geäußert hatte. »Es ist Zeit, die Glocken zu läuten.«
Wieder griff er nach dem Kristallglöckchen und läutete leise, und wieder erschien Basya innerhalb weniger Sekunden an seiner Tür.
»Wir werden jetzt mit der Verhandlung beginnen«, sagte er. »Lass die Glocken läuten, um die Magier zur Großen Halle zu rufen.«
Das junge Mädchen verließ das Zimmer, und kurz danach hörte Sartol das Läuten. Es würde eine Weile dauern, bis die Magier alle versammelt waren, und er setzte sich an die Feuerstelle, um zu warten. Der Drang, auf und ab zu gehen, war inzwischen unruhiger, aber freudiger Erwartung gewichen. Endlich würde es geschehen: der Höhepunkt all seiner Planung. Dies war nun keine Zeit mehr für Ungeduld oder Unruhe; dies war eine Gelegenheit, die er genießen musste.
Bald schon hörte er die ersten Stimmen im Saal, als Meister und Magier ihre Plätze um den dunklen Holztisch herum einnahmen. Er stand auf, zupfte seinen Umhang zurecht und fuhr sich mit der Hand durch das dichte, dunkle Haar. Die Geräusche vor seinem Zimmer wurden lauter, und dann nahmen sie einen anderen Klang an, was Sartol mitteilte, dass Niall mit den Angeklagten eingetroffen war. Es würde jetzt nicht mehr lange dauern. Er schloss die Augen und holte mehrmals tief Luft. Er war das, was er sagen würde, wieder und wieder durchgegangen, bis es eine Art Litanei geworden war, die sich ununterbrochen in seinem Hirn wiederholte. Es war sehr überzeugend; er hätte es beinahe selbst geglaubt.
Odinan stieß den Stab fest auf den Boden des Saals, und die anderen Magier schwiegen. Immer noch rührte Sartol sich nicht. Mit geschlossenen Augen lauschte er seinem Herzschlag. Die Verspätung würde sein Eintreten noch viel wirkungsvoller machen. Schließlich öffnete er langsam die Augen und hob den Arm für Huvan. Und nachdem die Eule erst auf seinem Unterarm und dann auf seine Schulter geflattert war, ging er zur Tür, riss sie auf und trat entschlossen in den Saal hinaus.
Sofort wandten sich alle Blicke ihm zu. Sollen sie uns ruhig ansehen, teilte er seinem Vogel mit, als er sich auf dem Platz des Weisen niederließ, sollen sie jene betrachten, die diesen Orden beherrschen werden, bevor der Tag vorüber ist.
Nachdem Sartol sich niedergelassen hatte, ging auch Niall weg von den Angeklagten zu seinem Platz am Tisch. Odinan stand immer noch vorgebeugt und schwer auf seinen Stab gestützt da, und nun begann er zu sprechen. Er eröffnete die Verhandlung mit seiner dünnen, zittrigen Stimme. »Wir haben gestern bereits gehört, wie gegen Baden, Trahn und Orris Anklagen wegen Verrats und Mordes vorgebracht wurden. Heute wird der Orden in Befolgung von Amarids viertem Gesetz über die Wahrheit dieser Anklagen entscheiden. Dem von Terrall eingeführten Verfahren folgend, wird Sartol, der die Anklagen ausgesprochen hat, als Erster aussagen. Danach wird Baden für die Angeklagten sprechen. Sartol?«
»Ich danke dir, Odinan«, sagte Sartol mit beflissenem Lächeln und erhob sich, während der uralte Eulenmeister sich wieder auf den Stuhl sinken ließ. Er sah sich im Saal um, und seine Miene wurde ernst. »Ich stehe heute der quälendsten Aufgabe gegenüber, die mir je gestellt wurde. Ich wünsche diesen Männern nichts Böses, und ich lege auch nicht gerne Zeugnis über die verstörenden Ereignisse
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