Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
wie sehr Niall danach gierte, in den inneren Kreis der Macht zurückzukehren. Viele Magier interessierten sich nicht für Einfluss, aber Niall war einmal ehrgeizig gewesen. Der Wunsch danach lag in seinem Wesen, und nun wollte er wieder sein, was er einmal gewesen war. Sartol bemerkte das an der Art, wie er am Rand von Gesprächen der mächtigeren Magier stand und lauschte, an dem resignierten Blick, mit dem er nach Feargus' Tod seine Stimme für den neuen Eulenweisen abgegeben hatte, an der erneuerten Leidenschaft, mit der er an Debatten am Versammlungstisch teilnahm. Sartol bezweifelte, dass einer der anderen es bemerkt hatte; tatsächlich ging er davon aus, dass Niall seine eigene Sehnsucht selbst kaum wahrnahm. Aber Sartol sah, wie dieses Bedürfnis in dem Eulenmeister wuchs, verstand, wie es sich anfühlen mochte und wie er es benutzen konnte, um Niall für seine Zwecke einzusetzen. Denn im Grunde waren er und Niall einander recht ähnlich. Der einzige Unterschied war: Wenn Sartol erst einmal die Macht in Händen hielt, würde er sie sich nie wieder nehmen lassen.
So war er alles andere als überrascht, wie leicht sich Niall dazu einspannen ließ, Baden und die anderen zu bewachen. Schließlich hatte er nicht nur bereits mehrere Jahre damit verbracht, sich die Loyalität des älteren Mannes zu sichern. Er bot Niall auch eine zweite Gelegenheit zur Führerschaft, eine zweite Chance, im Orden zu Einfluss zu gelangen, wieder in diesen Kreis einzudringen, aus dem er ein Jahrzehnt zuvor ausgeschieden war. Der Eulenmeister konnte sich einfach nicht weigern. Sartol hatte allerdings nicht mit Nialls überentwickeltem Moralempfinden gerechnet. Es widerstrebte dem Eulenmeister offensichtlich, Baden nachzuspionieren, und er war sichtlich bleich geworden, als Sartol es seinem Urteil überlassen hatte, wie er mit Badens Verbündeten umgehen sollte. Nach dieser Diskussion hatte Sartol schon gefürchtet, er müsste sich auf einen dieser riesigen Schurken verlassen, die er als Diener der Großen Halle eingestellt hatte, um die Sympathisanten der angeklagten Magier zu finden und sich ihrer zu entledigen. Diese Idee gefiel ihm überhaupt nicht, denn sie brachte große Gefahren mit sich, aber er konnte nicht zulassen, dass sein gesamter Plan an Nialls Zimperlichkeit scheiterte. Zum Glück hatte Trahns unerwartetes Auftauchen Sartol Gelegenheit gegeben, Nialls Entschlossenheit zu prüfen. Sartol hatte niemals vorgehabt, dem dunkelhäutigen Magier zu gestatten, sich frei in den Straßen von Amarid herumzutreiben. Er war schließlich nicht dumm. Aber er müsste herausfinden, wie Niall die Situation handhaben würde, und der Eulenmeister hatte ganz in seinem Sinne reagiert. Sartol hatte all seine Willenskraft gebraucht, um ernst bleiben zu können, als Niall erklärte, er habe vor, auch Trahn zu verhaften. Am liebsten hätte er laut gelacht. Sartol spürte abermals die Zufriedenheit, die er in jenem Augenblick empfunden hatte, und versuchte sich zu entspannen. Welche Vorteile Baden auch zu haben glaubte, Niall würde davon erfahren, und daher würde auch Sartol bald davon wissen. Tatsächlich würde der ältere Magier bald erscheinen, um darüber Bericht zu erstatten, was er in der Nacht zuvor erfahren hatte. An diesem Tag würde es keine Überraschungen geben, zumindest nicht für Sartol. Andere, die die Große Halle betraten, würden allerdings vielleicht überrascht, sogar schockiert sein, wenn sie sich Zeit ließen, den Rufstein genauer zu betrachten. Dies war ein weiterer Grund, weshalb Sartol eigentlich keine Schwierigkeiten dabei hätte haben sollen, seine gereizten Nerven zu beruhigen. Selbst wenn an diesem Tag etwas schiefging - wenn zum Beispiel zu viele Magier die subtile, aber unmissverständliche Gelbfärbung wahrnahmen, die nun nach der Arbeit einer ganzen Nacht von dem Stein ausging -, war er einigermaßen sicher, mit allen Magiern im Saal gleichzeitig fertig werden zu können. Gegen den gesamten Orden hätte er keine Chance, zumindest jetzt noch nicht. Gegen jene, die gestern hier gewesen waren, und die wenigen, die in der vergangenen Nacht und an diesem Morgen in die Stadt gekommen waren, würde er allerdings bestehen können. In gewisser Weise hoffte er beinahe sogar, dass die anderen ihm einen Grund zu diesem Versuch geben würden.
Er hatte sich so lange darauf vorbereitet. Einige Zeit hatte er sogar daran gezweifelt, dass es überhaupt möglich sein würde. Soweit er wusste, hatte sich noch kein Magier an zwei
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