Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
Versammlungssaal immer leiser wurden, und kam zu einem Entschluss. Trotz der freundlichen Worte, mit denen Sonel und die Älteste ihre Begegnung abgeschlossen hatten, würden die Beziehungen zwischen dem Orden und dem Tempel nicht so leicht zu verbessern sein, und der Ruf der Söhne und Töchter Amarids würde sich nicht über Nacht wiederherstellen lassen. Aber der Orden war schon zu lange untätig gewesen. Und jetzt musste ein zehnjähriges Mädchen in einem Tempel nur ein paar Meilen außerhalb der Stadt die Magie beherrschen lernen, ohne dass sie jemand dabei anleitete. Es musste endlich etwas geschehen!
Sie ging zu dem Klappschreibtisch neben ihrem Bett und griff nach Pergament und Schreibblei. Sie begann einen unautorisierten Brief an den Rat der Herrscher von Lon-Ser. Seit ihrem Gespräch mit Baden hatte die Eulenweise häufig darüber nachgedacht, was sie in einem solchen Brief sagen wollte, und nun fiel ihr das Schreiben leicht.
An den Herrscherrat:
Ich wende mich an euch als Vertreterin des Volkes von Tobyn-Ser und als Oberhaupt des Ordens der Magier und Meister dieses Landes.
Vor nun beinahe vier Jahren ist eine Bande von Bürgern aus Lon-Ser in unser Land eingedrungen und hat, verkleidet als Magier, gewaltsame Akte gegen unsere Bevölkerung begangen. Es ist uns zwar gelungen, diese Eindringlinge zu besiegen und alle bis auf einen zu töten, aber ihre Angriffe haben zu beträchtlichen Verlusten an Eigentum und Leben geführt.
Wie verlangen keine Wiedergutmachung für die Verbrechen, die an uns begangen wurden, aber wir möchten weitere Feindseligkeiten vermeiden. Zu diesem Zweck schlage ich ein persönliches Treffen vor, an einem Ort und zu einer Zeit, die wir gemeinsam bestimmen sollten, um über die von mir beschriebenen Ereignisse und über alle weiteren Konflikte zu sprechen, die zwischen unseren Völkern bestehen könnten.
Wir haben diesen Konflikt nicht gesucht und wünschen auch nicht, ihn zu verlängern. Aber eines solltet ihr wissen: Unser Wunsch nach Frieden ist nicht größer als unsere Entschlossenheit, ein freies Land zu bleiben.
In Freundschaft Sonel
Eulenweise von Tobyn-Ser
Am Ende des folgenden Tages war der Brief offiziell niedergeschrieben und abgeschickt worden. Sonel hatte niemandem davon erzählt, nicht einmal Baden, der das Thema nicht wieder ansprach, nachdem er in jener Nacht in ihrem
Bett gesagt hatte, was zu sagen war. Die Eulenweise sprach auch mit niemandem über Linneas Besuch. Cailins Bindung, so entschied sie an diesem Herbstabend, war eine Angelegenheit, die sie bei einer Versammlung dem gesamten Orden mitteilen musste.
Und so wartete sie und trug die Last ihrer Geheimnisse. Durch den kalten Schnee und die Winterstürme und die graue, feuchte Kälte der Regenzeit versuchte sie, sowohl ihre Angst als auch ihre Hoffnung zu beherrschen, und hielt dabei stets nach Schülern des Tempels Ausschau, die ihr hin und wieder Nachricht von Cailin brachten, und wartete unruhig auf eine Antwort aus Lon-Ser. Als die letzten Regenwolken davongeweht waren und die Frühlingswärme dem Sommer wich, wurden Sonels Vorahnungen düsterer. Im Winter hatte sie sich auf die Ankunft eines jeden neuen Handelsschiffes gefreut und gehofft, dass es vielleicht die Antwort des Rates bringen würde, aber nun fürchtete sie es eher, wenn eines dieser Schiffe anlegte, ebenso wie die grimmigen Stunden des Wachens und Wartens hinterher, nachdem die Schiffe mit dem Löschen ihrer Fracht begonnen hatten.
Es lag daher eine gewisse Ironie darin, dass die Antwort an diesem Tag vor Mittsommer ausgerechnet im Morgengrauen eintraf und von einem Schiff, das in der Nacht eingelaufen war, als Sonel bereits geschlafen hatte. Angesichts des knappen Inhalts des Briefes war das allerdings nur ein geringer Trost. Sonel strich sorgfältig das strahlend weiße Papier glatt und las die Botschaft ein letztes Mal. Ein solcher Brief war schlimmer als überhaupt keine Antwort, erkannte sie verzweifelt, denn nun hatte sie keine Ahnung, was sie noch tun konnte.
Basya klopfte zum dritten Mal an diesem Morgen zögernd an die Tür, und einen Augenblick reagierte die Weise nicht. Dann erhob sie sich widerstrebend. Schon bald würden Besucher kommen, das wusste sie: Magier und Meister, die in Amarid eintrafen und die ihr erster Weg zur Großen Halle führte, um die Eulenweise zu begrüßen und zu versuchen herauszufinden, wie Sonel über die Dinge dachte, die ihnen wichtig waren. Es war eine Art von Ritual und ebenso
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