Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
unterdrückte ein Schaudern. Als Erwachsener hatte ich schon zu viele Geschichten über gewandelte Kinder gehört, die an anonyme Kunden verkauft und nie wieder gesehen wurden.
Liana sah meinen Blick. »Dev, wegen Melly …« Sie sprach den Satz nicht weiter. Beim Anblick ihres unglücklichen Gesichts zog es mir den Magen zusammen.
»Was ist los?« Mellys Behaftung konnte nicht schon schwinden. Bei den Göttern, doch nicht jetzt schon. Nicht, wo ich gerade keine Gelegenheit hatte, mein Versprechen an ihren Vater in die Tat umzusetzen.
Liana las es mir von der Stirn ab. »Keine Angst, ihre Behaftung ist noch stark. Aber …« Sie neigte sich heran und flüsterte: »Morra hat den Roten Dal mit einem Mann reden sehen, der das Abzeichen von Karonys’ Haus trug.«
Unter dem Tisch ballte ich die Fäuste. Also holte er für Melly schon Angebote der besten Freudenhäuser ein. Das überraschte mich nicht. Sethan war ein gut aussehender Mann gewesen, aber seine Tochter übertraf ihn an Schönheit bei Weitem. Und sie hatte seine Haare geerbt, dieses leuchtende Dunkelrot derMagierflammen, in Ninavel eine seltene Farbe. Der Rote Dal würde ein Vermögen für sie einstreichen, das stand fest. Aber Karonys’ Haus … Scheiße. Die lieferten an Noble mit widerlichen Vorlieben und hielten ihre Weibchen mit Taphthasaft gefügig. Melly würde schon nach ein paar Tagen dort zur willenlosen Puppe werden und schließlich den Verstand verlieren. Mir wurde übel.
»Noch ist nichts abgemacht, Dev. Vielleicht wird ein anderes Haus Karonys überbieten.« Liana hörte sich an, als wollte sie sich selbst überzeugen.
»Klar.« Mehr sagte ich nicht, da ich meiner Stimme nicht traute. Nach allem, was Sethan für mich nach meinem Wandel getan hatte, würde ich ganz bestimmt nicht zulassen, dass ein Freudenhaus Melly in die Finger bekäme. Im Stillen schwor ich, alles Menschenmögliche zu tun, um Brens vermaledeiten Auftrag auszuführen. Karonys könnte ich nicht überbieten, aber mein versprochener Lohn würde für eine andere, riskantere Lösung reichen. Weder der Rote Dal noch Karonys würden den Diebstahl von kostbarem Besitz gut aufnehmen, aber mit genügend Zaster ließe sich unsere Spur verwischen und ich könnte Melly fern von Ninavel ein neues Leben einrichten.
»Es tut mir leid, Dev.« Liana legte mir eine Hand auf den Arm. »Geht’s einigermaßen? Ich habe das mit Jylla gehört …«
Ich biss die Zähne zusammen. »Bei Khalmet! Man könnte meinen, es hätte sich einer auf den Altonturm gestellt und es ausgerufen.«
»Aber ihr zwei wart seit eurem Wandel zusammen. Ich verstehe das nicht. Nur weil sie einen Noblen zum Ausquetschen gefunden hat … das hat dich doch sonst nie gestört.« Ich sah Lianas betroffenes Gesicht und verkniff mir ein saures Lächeln. Khalmet sei Dank, sie wusste nicht mal die Hälfte. Ich zuckte die Achseln und bemühte mich um einen sorglosen Ton.
»Ich komme zurecht. Hab einen Auftrag bekommen undmuss nach Kost. Darum bin ich hier, wollte mich vorher verabschieden.«
»Ach, gut, du liebst ja die Berge. Wir werden dich vermissen, ich und die Kinder.« Sie lächelte mich wehmütig an. »Pass auf dich auf, ja? Lass dich nicht von den Wölfen fressen.«
Es war immer amüsant, was Städter wie Liana über die Berge dachten. Wölfe. Ha. Viel gefährlicher waren Lawinen, Steinschläge und Gewitter. »Klar. Die verscheuche ich, und dann bringe ich dir und den Kindern aus Kost etwas mit.«
Ihre Augen leuchteten auf, und kurz sah ich wieder das dünne, schüchterne Mädchen von früher. Geschenke hatte sie schon immer geliebt. Ich drückte ihr ein paar Münzen in die Hand. »Danke für die Neuigkeiten. Halte ein Auge auf Melly, ja?«
»Soweit ich kann«, sagte sie leise. Ich stand auf und schaute zu Melly hinüber. Wachse langsam, Kind, beschwor ich sie still. In ein paar Wochen bin ich wieder hier.
KIRAN
Von einem Bein aufs andere tretend wartete Kiran neben dem Nachtjasminspalier. Zum hundertsten Mal sah er zu den Sternbildern auf, die über Lizavetas Hofmauer schienen. Die Stunde des Treffens mit Dev rückte heran. Doch ohne Lizavetas zugesagte Hilfe wagte er nicht, Ninavel zu verlassen. Er könnte es an Magie nicht mit Ruslan aufnehmen, und der würde ihn mit der Lässigkeit einer Sandkatze zur Strecke bringen, sowie er die Flucht bemerkte. Kiran pflückte eine Mondwindenblüte ab und zerdrückte sie in der Faust. Lizaveta hatte ihn in ihren Garten bestellt und Hilfe versprochen. Aber
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