Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
schob. In der Stadt macht das Klettern nie solchen Spaß wie in den Bergen.
Die Aussicht ist allerdings auch nicht schlecht. Bunte Magierlichter leuchteten und funkelten in den Nobeltürmen wie die sagenhaften Suliyya-Juwelen, überstrahlten die Sterne des Abendhimmels und den warmen Lampenschein aus den Straßen. Über den himmelhohen Stadttürmen im Westen erhob sich die dunkle Masse des Gebirges, dessen schneebedeckter Zackenkamm im Zwielicht bleich hervorstach.
Bei dem Anblick wurde mir schon wohler. Ich lief über das Dach zu einer kleinen Kuppel und einem Fenster, wo warmes Licht durch einen Vorhang drang. Nach ein paar schnellen Handgriffen am Fensterschloss schob ich den Vorhang beiseite und ließ mich in den hell gestrichenen Raum darunter fallen.
»Dev!« Liana empfing mich strahlend an dem langen Tisch, wo sie gerade das Geschirr abräumte. Überall am Boden lag Spielzeug verstreut, und sie musste lauter sprechen, weil die Kinder, die am anderen Ende des großen Raumes spielten, aufgeregt kreischten. »Du könntest auch die Tür benutzen, weißt du. Wir würden dich bestimmt reinlassen.«
»Nee, lass mal, so macht es mehr Spaß«, sagte ich. »Außerdem magst du doch Überraschungen.« Die Kinder kamen angestürmt und warfen sich gegen meine Beine, kicherten und riefen meinen Namen.
»Dev, was hast du mitgebracht, was hast du mitgebracht?«, schrie der Kleinste. Ich hob ihn hoch, kitzelte ihn sanft und warf ihn in die Luft. Dort schwebte er dann. Ich machte extra große Augen.
»Nicht doch! Das kann nicht Tamin sein. Tamin kann nur mannshoch in die Luft steigen!«, rief ich aus und griff nach ihm, um ihn zu kitzeln. Er sauste in die Höhe und entwischte mir.
»Ich bin aber Tamin! Guck mal, was ich kann, Dev! Liana sagt, nächsten Monat bin ich alt genug, um mit den anderen arbeiten zu gehen!«
Die anderen Kinder forderten lärmend meine Aufmerksamkeit. Ich teilte die Bonbons aus, die ich für sie aufgespart hatte, und bestaunte ihr Können, als sie die Bonbons schweben und tanzen und gegeneinander prallen ließen. Suchend schaute ich über die Köpfe: Jek, Porry, Alsa, Kuril, Ness, Jeran, Melly … und runzelte die Stirn. »Wo ist Tobet?«
Ich hatte Liana gefragt, aber die Antwort bekam ich von der elfjährigen Melly. »Er kam in den Wandel und konnte nicht mehr schweben. Darum hat der Rote Dal ihn zu seiner neuen Familie geschickt.« Sie hob das Kinn, und ihre braunen Augen sprühten vor Stolz. »Und mich hat er zum Aufpasser gemacht, Dev. Heute Abend wirke ich die Abwehrtricks, und die Kleinen müssen tun, was ich sage.«
Aufgrund langer Übung bekam ich einen heiteren Ton hin. »Wurde auch Zeit, was, Mädchen? Mit deiner Begabung wirst du einen prima Aufpasser abgeben.«
Dabei fing ich Lianas Blick auf, und einen Moment lang teilten wir eine bittere Erinnerung. Der Wandel ist für den Behafteten eine schreckliche Sache. Eben noch ist man glücklich und versorgt, kann fliegen, schweben, Purzelbäume in der Luft schlagen und alle möglichen lustigen Tricks machen. Dann setzt das Entwicklungsalter ein, und die magischen Kräfte schwinden auf immer. Man ist für den Hehler nutzlos, weshalb man an den Nächstbesten verkauft wird. Eine neue Familie für Tobet, ja, klar. Auch so eine schöne Lüge von Dal, mit denen er seine Behafteten willfährig hielt, abgesehen von seinen Folg-mir-Zaubern. Und wenn ich den Kindern etwas anderes erzählte, wäre ich am nächsten Morgen tot und sie ebenfalls. Die Bandenführer der Stadt riskieren keinen Aufstand ihrer Behafteten.
Die Kinder schwatzten aufgeregt weiter, die jüngeren sausten durch die Luft wie Fliegen. Liana schnappte Tamin beim Fußgelenk.
»Kinder, beruhigt euch, ja? Ihr habt eine arbeitsreiche Nacht vor euch, und ich möchte nicht, dass ihr vorher schon müdeseid.« Sie murrten, ließen sich aber gehorsam von Liana in die Spielecke scheuchen.
»Ein Auftrag, hm?« Ich warf mich neben Liana auf einen Stuhl.
»Ja. Der erste seit einigen Tagen. Darum sind sie ein bisschen überdreht.«
Ich fragte gar nicht erst, worin der Auftrag bestand. Liana ließ mich um der alten Zeiten willen noch herein, aber ich arbeitete nicht mehr für den Roten Dal. Er nähme es nicht gut auf, wenn ich neugierig würde. Mein Blick blieb an Mellys dunkelroten Haaren hängen. Über ein kunstvolles Fadenmuster gebeugt, sprach sie mit Ness und Jeran einen Reim. Unmöglich zu sagen, wie viel Zeit ihr noch blieb. Ich dachte an das Lächeln des Blutmagiers und
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