Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
steif auf. Über die Berufe der Unbegabten wusste er zwar nicht viel, aber seine geografischen Kenntnisse dürften Devs bei Weitem übersteigen.
»Sie beginnt am Westtor der Stadt und verläuft über zwei hohe Pässe im Weißfeuergebirge bis zur alathischen Grenze. Im Winter ist sie durch den Schnee unpassierbar. Der erste Handelszug im Frühjahr ist immer besonders groß, weil die Handelshäuser dann erpicht darauf sind, ihre Güter loszuwerden.«
Dev grinste schief. Offenbar war ihm Kirans Verärgerung nicht entgangen. »Stimmt, aber das ist nicht der einzige Grund dafür. Über das Gebirge führt keine glatte Pflasterstraße, wie wir sie in der Stadt haben. Die Handelsroute ist steinig, steil, stürmisch und stellenweise von Lawinen und Schneeschmelze zerstört. Die Wagen kämen nicht weiter, wenn man die Strecke nicht gleichzeitig ausbessern würde. Darum tun sich die Handelshäuser zusammen und buttern Geld für Ausrüstung und Arbeit hinein, damit das bewerkstelligt wird. Wer sich nicht beteiligt, muss eine Abgabe entrichten, wenn er später die Strecke befahren will.«
»Also hilft ein Vorreiter bei der Instandsetzung mit?«
»Nee, das tun die Zimmerleute und Steinmetze und ihre Gehilfen. Vorreiter sind so was wie Kundschafter. Während die Handwerker ihre Arbeit tun, erkunden wir das weitere Terrain und melden dem Zugführer die Schäden, damit er ordentlich planen kann. Manchmal brauchen wir nur vorauszureiten, und manchmal müssen wir Schneefelder überqueren und auf Steilfelsen klettern, um das Gelände zu überblicken. Das ist aber nicht unsere Hauptaufgabe. Wir müssen nämlich den Zug vor Gefahren bewahren.« Dev war ernst geworden.
»Du meinst vor Banditen?« Als Kind hatte Kiran viele Abenteuergeschichten gelesen, in denen tapfere Soldaten Räuberhorden besiegten, die aus den Bergen herabschwärmten, um die mit kostbaren Gütern beladenen Wagen zu plündern.
Dev brummte abschätzig. »Für die ist es noch zu früh, und der Zug ist viel zu groß. Die Banden warten, bis es wärmer wird und einzelne Wagen durchkommen. Nein, ich meine Lawinen, Steinschlag, Unwetter und dergleichen. Wir achten auf Schneehänge und Wetterveränderungen und sagen dem Zugführer, ob man sicher passieren kann.«
»Aber kann man das so genau wissen?« Verwendeten Vorreiter etwa irgendwelche Zaubermittel? Wettermagie war riskant und erforderte sorgfältige Beherrschung. Kiran hatte noch nie von einem Zauber gehört, der ausführlich und anpassungsfähig genug war, damit Unbegabte ihn verwenden konnten.
»Nein«, räumte Dev ein. »Wer die Berge gut kennt, kann eine recht genaue Vorhersage treffen. Aber mehr nicht. Manchmal irrt man sich, sodass Leute zu Schaden kommen oder sterben.«
»Hast du dich schon mal …?«
»Geirrt? Noch nicht. Aber ich habe zweimal ein Unglück erlebt, als ich noch Lehrling war. Beim ersten Mal ging nur einWagen verloren, und zwei Männer und ein Gespann Maultiere kamen um. Beim zweiten Mal war es …« Dev holte tief Luft und suchte nach dem passenden Wort. »Schlimmer«, sagte er schließlich und zwang sich dabei eine Ruhe ab, die Kiran gut kannte.
»Oh.« Mehr wusste Kiran dazu nicht zu sagen. Dev stützte seufzend die Ellbogen auf die Knie.
»Ehe wir über die Ausrüstung sprechen, muss ich von dir etwas wissen.«
»Was denn?« Kiran wurden die Hände feucht. Verschweigen fiel ihm leichter als Lügen.
Dev zögerte und zog die Stirn kraus. »Hör zu, ich bin bloß der Kurier, und deine Gründe gehen mich nichts an. Aber eines geht mich sehr wohl etwas an, weil davon nämlich abhängt, wie ich meinen Auftrag angehen muss. Du willst die Reise geheim halten, gut. Aber wessen Aufmerksamkeit wollen wir dabei eigentlich entgehen?«
Kiran atmete einmal tief durch, um zu überlegen. »Vornehmlich der der alathischen Grenzer. Aber es darf auch niemand auf mich aufmerksam werden, der für Sonnenauge oder Kolimann arbeitet.« Die größten Bankhäuser in Ninavel. Mit etwas Glück würde Dev annehmen, seine Reise sei nur ein geheimer Schachzug in dem Machtspiel, für das die großen Häuser berüchtigt waren. Sollte er Dev sagen, dass er gegen magische Spürmethoden bereits Vorkehrungen getroffen hatte? Nein. Dann würde er wissen wollen, gegen welche, und das würde zu viele gefährliche Fragen aufwerfen. Es wäre besser, die Sache einfach zu halten.
»Wie sehr wird man denn nach dir Ausschau halten?«
»Sie werden keine vereinten Anstrengungen unternehmen. Deshalb brauchst du dir keine
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