Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Kapitel 1
Das zweite Semester in Cromwell, der Hochschule für Magiebegabte in Berlin, war zu Ende. Fernab von neugierigen Augen lernten hier junge Erwachsene, mit ihren Kräften umzugehen. Die Menschen außerhalb der Mauern wussten nicht um die Besonderheit der wenigen Auserwählten, denen das Schicksal magische Kräfte mit auf den Weg gegeben hatte. Doch wie so oft hatte solch ein Geschenk seinen Preis: Die Begabten wussten um das Böse, das sich in den Schatten der Welt verborgen hielt. Es war ihre Aufgabe, sich ihm entgegenzustellen. Mit dem neuen Millennium war eine bedeutende Veränderung einhergegangen. Die Essenz pulsierte schneller und das Muster des Netzes, in dem sie gebunden war, wurde chaotischer. Die einst stabilen Dimensionstore wurden zunehmend durchlässiger für die Mächte der Finsternis und die Erde dadurch anfälliger für deren Schergen. Doch das Schicksal meinte es gut mit den Menschen, denn die Veränderungen in der Essenz hatten einen positiven Nebeneffekt: Es wurden mehr Begabte geboren, wenn auch weniger mächtig als ihre Vorfahren.
Diese veränderte Situation zwang die Magiewirker zum Handeln. Eine den einzelnen Orden übergeordnete Institution musste geschaffen werden, die sich der Erziehung und Weiterbildung dieser besonderen Menschen widmete. Denn alle von ihnen waren wichtig, um gemeinsam gegen den Feind zu streiten. So einigten sich die Ordensoberhäupter darauf, eine neutrale Stätte zu schaffen. Einen Ort der Bildung, der von einer unparteiischen Person geführt wurde. So entstand Cromwell, dessen Leitung Sir Lloyd Fowler innehatte. Der englische Adlige war nicht nur einer der mächtigsten Magier seiner Zeit, er brachte außerdem einen entscheidenden Vorteil: Er hatte sich nie für einen Orden entschieden.
Cromwell war eine Hochschule der besonderen Art. Die jungen Erwachsenen kamen im Laufe ihres 17. Lebensjahres hierher und absolvierten die ersten zwei Semester. Vertreter der einzelnen Orden unterrichteten sie nach einem von Fowler entworfenen Lehrplan. Mit Erreichen des dritten Semesters hatten die Studenten automatisch ihr Abitur bestanden und mit Abschluss von Cromwell ein anerkanntes Hochschulstudium beendet. Doch den Orden war daran gelegen, Einfluss auf die jungen Begabten auszuüben, solange sie noch formbar waren. Deshalb hatten die Studenten die Möglichkeit, nach dem zweiten Semester – und der Vollendung des 18. Lebensjahres – eine Ordensprüfung zu absolvieren. Sollten sie diese bestehen, wurde ihnen der Zugang zu geheimem Wissen eröffnet.
Doch die Zuweisung zu den Orden erfolgte nicht nach Wunsch, sondern nach der Begabung der Einzelnen. So konnte man zum Beispiel dem Sapientia Oracularum („Weisheit der Orakel“) nur beitreten, wenn man über hellseherische Fähigkeiten verfügte. Im Verlauf des zweiten Semesters hatte ein Mitglied des Prüfungskomitees mit den Studenten Gespräche geführt. Die Fähigkeiten jedes Einzelnen waren begutachtet worden. Und nun galt es, sich den abschließenden Vorbereitungen auf die Ordensprüfungen zu widmen.
Valerian und Flint verließen den Speisesaal. Sie hatten soeben mit ihrem Zirkel das letzte gemeinsame Frühstück vor den Semesterferien eingenommen und machten sich nun auf den Weg zu ihrem Zimmer.
„Du gehst sicher packen, oder?“, wollte Valerian von seinem Mitbewohner wissen.
Valerian war der einzige Unsterbliche unter den Studenten. Somit war er auch der Einzige, der nicht Mitglied eines Ordens werden konnte. Unsterbliche waren sehr selten. So selten, dass sich um ihre Existenz viele Sagen und Legenden rankten.
So gut gehütet, dass selbst du nicht einen von denen kennst. Echt klasse , dachte Valerian verstimmt. Er gehörte zwar zu den Unsterblichen, doch er hatte seine „Wandelung“ noch nicht vollzogen. Diese vollendete seinen magischen Reifeprozess und verlieh ihm besondere Fähigkeiten.
Valerian fieberte diesem Moment entgegen. Es störte ihn, dass seine Kommilitonen ihm immer einen magischen Schritt voraus waren. Doch neben dieser Ungewissheit gab es noch ein weiteres Problem: Niemand konnte dem Studenten garantieren, dass er die Wandelung überhaupt vollziehen würde. Bei diesem Prozess wurde eine alte Seele in einem lebenden Körper neu geboren. Die Fähigkeit, dies zu vollbringen, wurde in einer Familie an die nächste Generation weitergegeben. Also musste eines seiner Elternteile ebenfalls die Begabung gehabt haben, unsterblich zu werden.
Doch dazu ist es nicht gekommen.
Valerians Eltern kamen
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