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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Umrandungsmauer, faltete es und riss es zu einem Quadrat. Er setzte sich neben mich und sah mir zu. Die Mauer war trocken, trotzdem waren die Bedingungen nicht ideal. Ich hatte keine richtige Arbeitsfläche, und die billige Farbe hinterließ rote Flecken an meinen Fingerspitzen. Als ich fertig war, reichte ich ihm die geduckte, froschartige Gestalt – eckige Gliedmaßen, dreieckiger Kopf –, und er nahm sie mit beiden Händen und einem ruckartigen Nicken entgegen. Die Figur glitzerte rot und golden in seiner Handfläche.
    Ich hatte keine sonderlich gute Arbeit geleistet. Er schien meine Meinung zu teilen, denn er griff nach einem Plastikfeuerzeug, auf dem das chinesische Schriftzeichen für »Glück« aufgedruckt war, und hielt es unter den Mann. Ich war froh, dass er ihn verbrennen wollte. Genau das, was auch ich mit meinen misslungenen Werken mache. Man könnte es als ein Ritual der Läuterung bezeichnen.
    Doch er zögerte.
    »Wer ist das?«, fragte ich.
    Er lachte. »Was glauben Sie denn?« Er zündete das spitz zulaufende Bein des Mannes an. Normalerweise hätte ich es zu einem Fuß gebogen, doch das war unter diesen Bedingungen zu schwierig. Eine bläuliche Flamme kroch über den papierenen Körperteil.
    »Ich weiß es nicht.«
    Ich fürchtete schon, er werde sich verbrennen, doch er ließ das flammende Papier gerade noch rechtzeitig fallen. Gemeinsam schauten wir zu, wie die kleine Nachbildung aufloderte, zusammenschrumpfte und zerfiel.
    »Doch, das wissen Sie, Hesketh. Weil sie ein kluger Mann sind.« Sein Ton war drängend. Als ich ihm flüchtig in dieAugen blickte, bemerkte ich, dass sie so dunkel waren, dass Pupille und Iris verschmolzen. Wenn Menschen einen mögen, wird ihre Iris groß. Wenn sie einen hassen, wird sie klein. Man muss die Helligkeit als Faktor einbeziehen, aber von Sonnenlicht gefleckter Schatten ist nur schwer auszugleichen. Ich spürte genau, dass es eine Probe war. Nein, mehr als eine Probe. Eine Herausforderung. Noch mehr Spielchen. Noch mehr Dinge, die nicht offen ausgesprochen wurden. Doch ich hatte die Tendenzen und die Regeln studiert.
    »Er ist der Informant«, sagte ich. »Der Saboteur bei Jenwai. Der Mann, den Sie töten wollen.«
    Er sagte nichts. Sein Kiefer mahlte seltsam. Dann begriff ich, wieso. Er weinte wieder. Nun dämmerte mir, was er sagen wollte und weshalb es ihn so schmerzte. Natürlich. Stephanie Mulligan hätte es längst erkannt. Was sagt man einem Mann, der sich soeben symbolisch selbst verbrannt hat? Wir standen lange da und schauten zu, wie die Asche des winzigen, papierenen Sunny Chen über dem rauen Unkraut davonwehte.
    Schließlich räusperte ich mich.
    »Glauben Sie, Ihre Ahnen sind wütend auf Sie?«
    Da war wieder das Lachen. »Sicher, ich werde die Schuld auf mich nehmen müssen.«
    Ich blinzelte und wischte mir über die Stirn. In diesen Breiten kann auf Donner eine intensive, laserstrahlartige Hitze folgen. Ich wünschte, ich hätte nicht an Stephanie Mulligan gedacht. Doch nun war sie hier, urteilte über mich und hatte mich für zu leicht befunden. Und irgendwo hinter ihr stand Kaitlin. Verschiedene Frauen, die zum selben Urteil gelangten.
    »Aber es war nicht meine Entscheidung. Etwas kann in einen eindringen.« Er wurde aufgeregt. »Manchmal schläft es. Aber wenn es erwacht, übernimmt es die Kontrolle. Dann kann man keine Entscheidungen treffen. Sie sind ein klugerMann, Hesketh, aber leider sind Sie wohl nicht der Mensch, der verstehen kann, was hier passiert. Wie sie einen dazu bringen, etwas zu tun. Sie sind …« Er zog sein Handy hervor und schaute ein Wort nach. »… zu rational .«
    Er hatte ein Geständnis abgelegt. Er wollte Abbitte leisten. Und ich war sein Zeuge.
    Doch ich arbeite für den Kapitalismus in Gestalt von Phipps & Wexman. Nicht für Gott.
    Ich bin mir nicht sicher, was »zu rational« bedeuten soll. Doch Sunny Chen hatte recht: Ich respektiere Fakten und die logischen Systeme, die sie miteinander verbinden. Deshalb erschienen mir seine Worte auch so unbefriedigend. Während Informanten dazu tendieren, ihre eigene Bedeutung zu überschätzen, besaß Sunny Chen so gut wie gar kein Ego. Ich bewunderte ihn, weil er sich für die Regeln einsetzte. Aber er passte nicht ins Profil.
    »Ich werde das aufzeichnen«, sagte ich. »Für meinen Bericht.«
    Er zuckte mit den Schultern. Ich holte mein Gerät heraus, legte es zwischen uns auf die Marmorplatte und drückte die Taste.
    »Das ist sehr schlimm für mich«, sagte

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