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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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er.
    »Überhaupt nicht schlimm«, konterte ich rasch. Ich befand mich auf sicherem Terrain, Situationen wie diese hatte ich geprobt, wenn auch nicht für ihn. »Sie bekommen eine Belohnung. Eine großzügige Belohnung. Deshalb bin ich hier. Sie werden zum Helden.«
    »Das Letzte, was ich will«, erwiderte er ausdruckslos.
    Wenn ich diese Bemerkung logisch analysierte, entbehrte sie nicht eines gewissen Sinns. Er hatte seine Firma zu Fall gebracht und fühlte sich unweigerlich hin- und hergerissen. Offiziell würde er eine Belohnung erhalten, weil er GanjongsRuf gewahrt hatte, und als Ökokrieger, Korruptionsgegner und Vorkämpfer der Ehrlichkeit gefeiert werden. Doch in Wirklichkeit war der kleine, unsichere, gequälte Sun-kiu »Sunny« Chen nichts von alledem.
    »Nun, warum haben Sie es getan?«
    Er schien sich unwohl zu fühlen und spielte mit einem Höllengeldschein. »Ich wollte es nicht. Ich kann es nicht erklären. Nicht einmal mir selbst. Ich war nicht dafür verantwortlich.«
    »Sie respektieren die Tradition der Ahnenverehrung. Glauben Sie noch an etwas anderes?«
    Er schüttelte zerstreut den Kopf und zog an seiner Zigarette. »Nein.«
    »Inwiefern hängt der Respekt für Ihre Ahnen mit der Tatsache zusammen, dass Sie die Korruption bei Jenwai aufgedeckt haben?«
    »Das kann ich nicht erklären.«
    »Versuchen Sie es.«
    »Ich kann es nicht. Stellen Sie mir eine andere Frage.«
    »Das Zeichen, das Sie mir im Sägewerk gezeigt haben. Wer hat es gemacht, und weshalb halten Sie es für relevant?«
    »Ich habe es gemacht. Darum wollte ich ja, dass die Polizei Fingerabdrücke nimmt. Beweise. Aber Sie weigern sich.«
    »Sie meinen, das sind Ihre eigenen Fingerabdrücke?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Ich wüsste es gern.«
    »Aber Sie haben doch gerade gesagt, es sei Ihr Abdruck.«
    »Sie bringen einen dazu, Dinge zu tun. Von innen.« Er berührte seine Brust.
    »Wer?«
    »Sie. Sie sind von unserem Blut, aber sie hassen uns. Sie geben uns die Schuld. Ich kann es nicht erklären.«
    Ich versuchte es anders. »Halten Sie sich für einen moralischen Menschen?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Wie sind Ihre Ansichten über Entwaldung? Oder die Umwelt?«
    »Keine Ansichten«, sagte er und schaute in die Ferne. Er zog heftig an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf, als wollte er eine Fliege verscheuchen. Doch da war keine Fliege. »Ich bin nur ein ganz normaler Mensch.«
    »Ganz normale Menschen können aber Ansichten haben.«
    Er stieß einen Rauchstrom aus. Wenn sich Rauch mit Luft vermischt, gehorcht er mathematischen Regeln. »Als ganz normaler Mensch interessiere ich mich nicht sonderlich für die Umwelt.«
    »Weshalb haben Sie es dann getan?«
    »Druck.«
    »Was für ein Druck? Von wem?«
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt! Von den Geistern! Von denen!«
    Er schüttelte den Kopf, drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an. Wir saßen eine Weile einfach so da. Zwei Meter weiter kümmerte sich eine Tigerkatze mit Knick im Schwanz um ihre schwarzen, weißen und schildpattfarbenen Jungen.
    »Haben Sie Angst vor Vergeltungsmaßnahmen?«, fragte ich schließlich. »Dass die Leute von Jenwai, die bloßgestellt wurden, Sie im Gegenzug angreifen könnten?«
    Er machte ein Geräusch mit dem Mund, als schnürte ihm etwas die Kehle zu. »Das geht Sie nichts an. Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich war es ja nicht, der das getan hat. Sie kommen herein. Ich weiß nicht, wie. Vielleicht isst man etwas Falsches, und sie gelangen in den Blutkreislauf. Wie ein Parasit. Und dann bringen sie den Körper dazu, dem Verstand nicht mehr zu gehorchen. Verstehen Sie?«
    »Noch nicht. Aber ich bin hier, um zu versuchen, es zu verstehen.Das ist mein Job. Damit ich meinen Bericht schreiben kann.«
    Er griff nach dem Rekorder und stellte ihn aus. »Nein. Tut mir leid, Hesketh. Wir beenden das jetzt.« Er stieß einen dünnen Rauchfaden aus. »Ich kann nicht. Ich verstehe es selbst nicht. Ich bin für nichts, was Sie sehen, verantwortlich. Ich bin nur ein …« Er verstummte.
    »Nur ein was?«
    Er schnippte Asche von seinem Ärmel. »Nur ein kleiner Mann aus Papier.«
    Dann stand er auf. Ich erhob mich ebenfalls und wollte ihm nachgehen, doch er bedeutete mir zu bleiben, wo ich war. Also setzte ich mich wieder und sah zu, wie er steif zu dem Familienschrein zurückging, ein Bündel rotes Höllengeld aus der Tasche zog, sich hinkniete, es auf dem Stein auffächerte und mit dem Plastikfeuerzeug anzündete. Dann suchte er in seiner

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