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Die da kommen

Die da kommen

Titel: Die da kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Jensen
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Brieftasche nach Räucherstäbchen, verbeugte sich dreimal, stellte sie in ein kleines Gefäß und zündete sie an. Seine Schultern bebten.
    Der Rauch trieb auf mich zu. Ich roch Sandelholz, das erkannte ich sofort. Als Kaitlin und ich vergangene Weihnachten ein Cottage in Devon gemietet hatten, bestand Freddy darauf, in jedem Zimmer Räucherstäbchen mit Sandelholzaroma anzuzünden. Kaitlin war normalerweise eher launisch, doch bei dieser Gelegenheit herrschte eine positive Atmosphäre. Sie hatte vier Gläser Wein getrunken, und weil ihre Haut so schimmerte, begehrte ich sie ungeheuer. Mein Körper hat einen eigenen Willen, und ich habe gelernt, dass man beim Sex nicht dagegen ankämpfen muss, weil der Sex eigenen Regeln gehorcht. In jener Nacht war sie sehr empfänglich und machte ausnahmsweise auch die Augen zu. Ich missverstand allerdings den Grund. Ich dachte, sie wolle mir etwas geben,einen Weg zu mir in dem, was sie die Festung nannte, suchen. Doch darum ging es nicht. In Wahrheit hatte sie ihre Affäre bereits begonnen.
    Ich war sogar dabei, als sie sich kennenlernten. Es war bei einem Empfang von Phipps & Wexman. Sie redeten den ganzen Abend miteinander. Ich sah, dass sie einander stimulierten. Gerade noch waren sie ernsthaft gewesen, dann lachten sie miteinander. Ideen schlugen Funken. Es war eine Art von Austausch, an dem ich nur mühsam teilnehmen kann. Es war das klassische Werbeverhalten, aber das erkannte ich nicht. Später sagte Kaitlin, es habe daran gelegen, dass ich »selbstgefällig« gewesen sei. Ich hätte »Vermutungen angestellt« und ihre sexuellen Gelüste »nicht erforscht«. Ich hätte Kaitlin für selbstverständlich genommen. Ich hätte eifersüchtig sein müssen und war es nicht.
    Ich fragte: »Willst du damit sagen, dass ich an deiner Affäre schuld bin?«
    »Dreh mir nicht die Worte im Mund um.«
    »Ich versuche, die Logik zu verstehen. Nicht nur die Logik dessen, was du getan hast, sondern auch, warum du es vor mir verborgen hast. Ich muss den Grund erfahren.«
    »Man kann nicht alles mit einem verhaltenstechnischen Ablaufdiagramm erklären, kapiert? Und nicht jeder hält sich an deine Regeln.«
    »Es geht nicht um Regeln. Es geht um Moral.«
    »Menschen verändern sich, ja? Sie entwickeln sich weiter und wollen erproben, wie sie sein könnten, nicht nur, wie sie sind!«
    »Sie sollten einfach nur das sein, was sie zu sein behaupten.«
    »Nun, einer von uns hat das nicht getan, oder? Einer von uns hat das anscheinend unverzeihliche Verbrechen begangen, sich zu verändern .«
    Ihre Körpersprache und ihr Gesichtsausdruck rieten mir, es dabei zu belassen.
    Ein Schwarm grüner Vögel flog krächzend über uns dahin und verschwand im Smog, der sich um die Hügelflanke kräuselte. Einfarbsittiche. Ich ging zu Sunny hinüber, und wir betrachteten gemeinsam die glühenden Spitzen der Räucherstäbchen.
    »Danke, dass Sie mir den Mann gemacht haben. Und das Insekt. Wie heißt es?«
    »Es ist eine Gottesanbeterin. Man nennt sie so, weil sie vor- und zurückschaukelt wie jemand, der betet.«
    Ich schaukle auch gerne mit dem Oberkörper. Es beruhigt mich.
    »Aha, ein heiliges Insekt.«
    »Eigentlich nicht. Die Weibchen fressen die Männchen nach der Paarung.«
    Er rutschte ein bisschen hin und her und sah mich von der Seite an. »Geht mich ja nichts an, Hesketh. Aber Ihre Frau …«
    »Freundin. Ex. Sie hat jemand anders kennengelernt.« Ich könnte auch lernen, es laut auszusprechen.
    Er betrachtete seine Hände. »Tut mir sehr leid. Hätte nicht fragen sollen.«
    »Später hat sie es bereut und wollte weitermachen wie zuvor.«
    Er blickte hoch und lächelte. »Also hat der beste Mann gewonnen!«, rief er und boxte mich amerikanisch-kumpelhaft gegen den Arm. Er hätte mich ebenso gut erschießen können. Natürlich meinte er es gut. Er wusste nicht, wie entsetzlich es gewesen war. »Sie sind der beste Mann«, fuhr er fort. »Sie hat es erkannt und wollte Sie zurück.«
    »Aber ich konnte ihr nicht mehr vertrauen. Deshalb lebe ich alleine.«
    »Ein Mann mit Prinzipien. Gut.« Ich wusste, dass er mich anschaute. »Aber Sie vermissen Ihren Sohn.«
    »Stiefsohn. Freddy ist ihr Sohn. Von früher. Er kennt seinen richtigen Vater nicht.«
    »Trotzdem braucht er Sie. Wissen Sie, Hesketh, Familien sind immer bei uns.« Er deutete auf die Schreine. »Tot und lebendig. Die aus der Vergangenheit und der Gegenwart und auch die aus der Zukunft. Sie leben in uns. Selbst wenn wir wollen, entkommen wir ihnen

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