Die da kommen
Anweisungen gab. Die Luft flirrte belebend und erinnerte mich an das Flimmern eines Fernsehers.
Ich mag keine Veränderungen. Paradoxerweise aber sucht und verlangt etwas in mir dennoch nach Veränderung – eine Art Informationshunger. Wenn Haie sich nicht bewegen, sterben sie. Kaitlin hat einmal behauptet, genauso verhalte es sich mit meinem Gehirn.
Wir fuhren an den Hochhäusern der Vororte vorbei, die wie schmutzige, aufeinandergestapelte Zuckerwürfel aussahen. Reklame in Form von Flachbildschirmen und rotierenden Plakatwänden warb für Zahnpasta, Windeln, Kung-Fu-Filme und Handys. Dazwischen das kurze Aufblitzen einer älteren Ordnung: Straßenhändler, die unter ausgefransten Wachsblumen und Palisanderbäumen Tofu, Litschis, Sternfrüchte, Süßigkeiten, gackernde Hühner in Käfigen und Zigaretten verkauften. Violette Bougainvilleen, die über Zäune wucherten, und Orchideen in Töpfen, die sich in der Brise wiegten. Trotz Sonnenbrille bohrte sich das intensive Licht in meine Netzhaut. Hier und da stiegen an Straßenecken, in Türeingängen und vor Tempeln dünne Rauchfäden von den Opfergaben für die Toten auf: Obst, Naschwerk, Papiergeld. Für die Chinesen ist September der Geistermonat. Die Toten drängen aus der Hölle, verlangen nach Essen und Besänftigung und richten Chaos an.
Ich atmete die Fremdartigkeit ein.
Betrug ist ein Geschäft wie jedes andere. Anthropologisch gesprochen geht es dabei um die Zusammenkunft, Kooperation und Kommunikation von Stämmen. Die Grauzone zwischen gerissenen Geschäftspraktiken und Wirtschaftsbetrug ist das heikle Terrain, auf dem sich Phipps & Wexman regelmäßig bewegt. In seinen Präsentationen erklärt Ashok den Klienten: »Nach einem katastrophalen PR-Schock ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass in Ihrem globalen Team nie wieder etwas so Unnötiges passiert. Phipps & Wexman verfügt überdie besten Ermittler der Branche. Unsere Erfolgsgeschichten beweisen das. Sanwell, die Go Corporation, Quattro, GTTL, Klein and Mason: lauter Firmen, deren Ruf durch unsere Profilerneuerung entscheidend verbessert wurde.« Ich habe die Ansprache achtzehneinviertel Mal gehört. Ich komme sogar darin vor (»Hesketh Lock, unser Spezialist für interkulturelle Angelegenheiten, der Sabotagemuster von Indonesien bis Island analysiert hat«). Ashok geht mit seinem Publikum auf diese lockere amerikanische Art um. »Niemand bei Phipps & Wexman behauptet, er könne die Welt retten«, fährt er fort, »aber Sie können verdammt noch mal sicher sein, dass wir Öl ins aufgewühlte Wasser gießen.« Die Vorstellung, wir könnten Heiler, gar Schamanen sein, stimuliert unsere Klienten. Es war die geniale Idee von Stephanie Mulligan, einer Verhaltenspsychologin, mit der mich eine quälende Geschichte verbindet.
Der Applaus nimmt kein Ende.
Hartholz wächst langsam, und die Preise sind in den vergangenen Jahren astronomisch gestiegen. Schon lange vor den schwachen Waldschutzabkommen gab es Beschränkungen des Holzeinschlags. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Schlupfloch. Und eine Armee von Gaunern. Der betrügerische Handel mit Hartholz aus geschützten Wäldern ist ein ungeheuer lukratives globales Geschäft, das zahllose Menschen zu Millionären gemacht hat. Darunter auch die Bosse, Lieferanten und Spediteure von Jenwai Timber.
In der Woche vor meinem Taiwan-Besuch hatte eine anonyme Quelle dem Betrugsdezernat von Taipeh eine Sammlung von Dokumenten zugespielt, nach denen das Sägewerk von Jenwai Hartholz von einem malaysischen Lieferanten gekauft hatte. Mit diesen eindrucksvollen Fälschungen hatte man eine Reihe illegaler Transaktionen vertuschen wollen,bei denen Holz unter der Hand in Laos beschafft und obendrein mit scheinbar legalen Stempeln versehen worden war. Die Schnitzeljagd, die auf die erste polizeiliche Razzia folgte, löste weitere Ermittlungen aus, und innerhalb weniger Tage wurde der gesamte Laos-Taiwan-Komplex eines weitreichenden internationalen Holzskandals aufgedeckt. Detektive, Umweltschützer und die Medien schrieben schon eifrig an ihren Berichten. Ich aber hatte eine Bewertung ganz anderer Art abzugeben.
Als Ermittler, die für eine multinationale Anwaltskanzlei arbeiten, waren wir von Ganjong Inc., der Mutterfirma von Jenwai Timber, beauftragt worden. Die wichtigsten Akteure bei Jenwai Timber waren korrupte Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, laotische Drogenhändler, Mittelsmänner aus Thailand und chinesische Betriebsleiter. Und ein
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