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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht mal Sterne!
    Den Geschichten zufolge hatten die Zwielichtler den Schleier vor zweihundert Jahren erschaffen, ihn über sich gezogen wie eine Decke, als ihr zweiter Angriff auf die Menschenwelt gescheitert war — aber warum? Hatten sie sich so sehr vor der Rache der Menschen gefürchtet, dass sie beschlossen, für immer auf die Sonne und den freien Himmel zu verzichten — ja sogar auf Tag und Nacht? Er hatte die Zwielichtler auf dem Schlachtfeld erlebt. Selbst in der Unterzahl hatten sie das Menschenheer vernichtend geschlagen. Feiglinge waren sie mit Sicherheit nicht. War vor zweihundert Jahren ihre Zahl so viel kleiner oder ihre Kriegskunst so viel primitiver gewesen?
    Durch eine Bewegung im Geäst über sich wurde Barrick aus seinen Gedanken gerissen. Er lag ganz still und spähte durch die beinah geschlossenen Lider. Da! Etwas kroch hoch oben durchs Blätterdach wie eine riesige, weiße Spinne — ein Seidenwickler.
    Ein zweites helles Etwas kroch lautlos neben das erste, und beide kauerten da und starrten herab. Er konnte nur reglos liegenbleiben. Schließlich mimte er ein Gähnen und streckte sich, als ob er gerade aufwachte. Die Seidenwickler verharrten einen Moment lang und zogen sich dann ins Schattendunkel noch höherer Äste zurück, aber Barricks Herz beruhigte sich noch eine ganze Weile nicht.
    Sie waren also immer noch da. Worauf warteten diese scheußlichen Kreaturen? Warum sollten sie ihm weiter folgen, wenn nicht, um auf eine Angriffschance zu warten? Aber er hatte doch schon mehrmals geschlafen, und sie hatten nie etwas unternommen. Worauf warteten
sie?
    Auf Verstärkung vermutlich.
    Feiner Regen nieselte jetzt auf die Blätter über ihm und drang gelegentlich auch herab und kitzelte ihn im Gesicht, aber das machte nichts: So bald würde er sowieso nicht einschlafen.

    Barrick und Skurn waren dem Hügelkamm gefolgt, so lange sie konnten, doch jetzt fiel die Kammlinie langsam ab, da jeder Hügel etwas niedriger war als der letzte. Der Verfluchte Berg ragte direkt vor ihnen auf wie die Kuppel eines gewaltigen Tempels, stumm und geheimnisvoll. Barrick hatte keine große Lust, wieder in die dunklen Täler hinabzusteigen, wo die Bäume das bisschen Licht weitgehend abhielten, aber wenn das die beste Möglichkeit war, einen so übel beleumdeten Ort zu meiden, dachte er, dann eben der Weg durch die Täler.
    Selbst Skurn schien der Mut verlassen zu haben. »Riecht immer übler, dieser Berg, je näher ihm unsereins kommt«, erklärte er. »Stinkt nach alten Zeiten und toten Göttern — noch schlimmer als Große Tiefen. Nicht mal die Seidenwickler gehen dahin.«
    Schlimmer als Große Tiefen ...
Barrick sah schaudernd weg. Das Grauen der unterirdischen Stollen und der Horror der Begegnung mit dem einäugigen Kituyik, dem schrecklichen Herrscher jener Tiefen, würden ihm gegenwärtig sein, so lange er lebte.
    Also machten sie sich an den Abstieg im Nieselregen, durch bewaldete Schluchten nahe dem Fuß des hohen Berges, der über ihnen dräute wie ein finsterer Riese. Im Dunkel dieser Schluchten fühlte sich Barrick viel verwundbarer als droben auf dem Kamm. Selbst Skurn, der sonst immer weit vorneweg flog und manchmal bestimmt eine Stunde wegblieb, hielt sich jetzt dicht bei Barrick, flatterte jeweils nur ein paar Bäume voraus und wartete dann, dass Barrick ihn wieder einholte. Dennoch bemerkte der Rabe als Erster; dass sie wieder verfolgt wurden.
    »Drei Stück, Seidenwickler«, zischte er Barrick ins Ohr. »Gleich hinter den Bäumen da.« Er zeigte die Richtung mit dem Schnabel an. »Nicht hinschauen?«
    »Verflucht, sie haben einen Freund gefunden.« Aber er tat sein Bestes, sich keine Furcht einjagen zu lassen. Das letzte Mal waren ein halbes Dutzend oder mehr auf ihn losgegangen, und er hatte sie in die Flucht geschlagen — drei würden niemals reichen, um Barrick Eddon zu überwältigen, ihn, den Meister des seidenzerschlitzenden Speers Und doch — wo drei waren, konnten bald noch mehr sein ...
    Wann kommen wir endlich aus diesem götterverfluchten Wald hinaus? Ich halte das keinen Tag mehr aus.
Aber das Bild des weiten Baumkronenmeers jenseits des Verfluchten Berges war noch frisch: Barrick wusste, so bald würde er nicht ins Freie gelangen.

    Skurn war ein Stückchen vorausgeflogen, um einen vergleichsweise sicheren Platz für ein Nachtlager aufzuspüren. Barrick wurde mit jedem Schritt hungriger. Er hatte die letzten Tage kaum mehr gegessen als Beeren und dann und wann ein Vogelei, roh aus

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