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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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würde. Das war etwas, das er von seinem Vater gelernt hatte:
»Drücke nie das Gesicht eines Feindes in den Dreck, wenn du ihn am Boden hast«,
hatte Olin oft erklärt.
»Nicht, wenn du vorhast, ihn je wieder aufstehen
zu
lassen. Verletzter Stolz heilt langsamer als körperliche Wunden.«
Barrick hatte das nie viel gesagt, weil gewöhnlich er derjenige war, dessen Gesicht in den Dreck gedrückt wurde, doch jetzt begann er es zu verstehen. Durchs Leben zu gehen war vielleicht ein bisschen so, wie durch diesen schrecklichen Wald zu wandern: Je weniger Wesen es hinter einem gab, die einen hassten, desto weniger Kraft musste man darauf verausgaben, sich ständig umzudrehen, und desto besser war man für das gerüstet, was auf einen zukam.
    Als die Gefangenen alle auf festem Boden waren, kamen die übrigen Stoltewichte langsam von den Bäumen herab und unter dem Gesträuch der Lichtung hervor — alles in allem vielleicht hundert. Es war nicht nur ihre winzige Statur, die sie von richtigen Menschen unterschied, befand Barrick: Ihre Gesichter waren länger und anders geformt, vor allem die spitzen Nasen und Kinne, und die Gliedmaßen waren bei einigen so dünn wie Spinnenbeine. Ansonsten aber waren sie gar nicht so anders als Leute, die um ein Vielfaches größer waren. Ihre Rüstungen waren raffinierte Konstruktionen aus Borke, Nussschalen und Insektenpanzern, und ihre Speere sahen aus, als wären sie aus Knochen geschnitzt. Auch ihre Mienen glichen denen von normalwüchsigen Soldaten während eines unsicheren Waffenstillstands: Als Barrick auf allen vieren auf sie zukrabbelte, musterten sie ihn ängstlich und misstrauisch, sichtlich bereit, beim kleinsten Anzeichen von Verrat sofort ins Unterholz zu flitzen.
    Als Barrick sich hingesetzt hatte, trat einer der Stoltewichte vor. Seine Stimme war so piepsig wie die eines Vogelkükens. Trotz seiner Zwitschersprache hatte er etwas höchst Martialisches, mit seinem Schild aus einem blaugrün schillernden Käferpanzer, dem winzigen, mit Bändern umflochtenen Bart und dem Helm aus dem Schädel eines mit spitzen Zähnen bewehrten Fischs.
    »Er sagt, er respektiert sie, die ausgehandelte Waffenruhe«, dolmetschte Skurn, »aber wenn Ihr gekommen seid, um das heilige Gold aus den Wabenstöcken seines Volkes zu rauben, dann müssen er und seine Mannen euch trotzdem auf den Tod bekämpfen. Ist der Eid, das, den sie ihren Ahnen geschworen haben, die Stöcke und die Honigpferde zu schützen.«
    »Stöcke?« Barrick schüttelte den Kopf. »Honigpferde? Meint er Bienen?« Einen Moment lang schmeckte er regelrecht Honig — seit Monaten hatte nichts Süßeres als Beeren seine Zunge berührt —, und das Wasser lief ihm im Mund zusammen. »Sag ihm, ich führe nichts Böses im Schilde«, sagte er. »Ich versuche nur, nach Qul-na-Qar zu kommen.«
    Nach einem kurzen Klick- und Zwitscherdialog wandte sich Skurn wieder Barrick zu. »Er sagt, wenn Ihr nicht auf ihren Schatz aus seid, dann müssen sie zurück, ein Auge auf solche halten, die es sind.« Skurn pickte in seinem Brustgefieder herum und störte einen Floh auf. »Bleiben nie lang im Freien, diese Stoltewichte — sind jetzt schon nervös, weil sie so lang aus ihrem Schattendunkel heraus sind.« Skurn legte den Kopf schief, als der winzige Anführer wieder sprach. »Doch weil Ihr Euch ehrenhaft verhalten habt und sie Euch keinen grausigen Tod wünschen, sagen sie Euch, Ihr sollt nicht in die Nähe des Verfluchten Berges kommen.«
    »Verfluchter Berg? Was ist das?«
    »Hat schon davon gehört, unsereins«, sagte der Rabe ernst, »aber nichts Gutes. Sollten machen, dass wir weiterkommen«
    Doch der Anführer war noch nicht fertig. Er zwitscherte noch ein paar Sequenzen und zeigte dabei erregt auf den Vogel.
    »Was sagt er?«
    »Nichts.« Skurn war das Inbild des Desinteresses. »Bloß Geplapper, dies und das. Abschiedsworte, Segenswünsche, solcherlei.«
    Die Stimme des Anführers wurde schriller. Der Stoltewicht schien eine sehr eindringliche Art zu haben, sich zu verabschieden.
    »Ah, na ja, sag ihm, ich danke und ...« Barricks Augen verengten sich. »Skurn, was ist das da unter deiner Klaue?«
    »Was?« Der Vogel sah in die Luft statt dorthin, wo Barrick hinzeigte. »Nichts. Gar nichts, Herr und Gebieter.«
    Wenn Barrick das matte Zappeln des Winzlings nicht schon ins Auge gefallen wäre, hätte ihm dieses »Herr und Gebieter« alles verraten. »Es ist einer von ihnen, stimmt's? Einer der Verwundeten. Den Fluch der Götter über dich?

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