Die Dämonen ruhen nicht
nicht hier sitzen und jammern ...« Nervös greift Nic nach ihrer Tasse, stellt sie weg, nimmt sie dann wieder und ballt ihre Serviette auf dem Schoß zu einem Knäuel zusammen. »... insbesondere nicht in Ihrer Gegenwart.«
»Warum ausgerechnet nicht bei mir?«
»Offen gestanden habe ich gehofft, ich könnte einen guten Eindruck auf Sie machen ...«
»Das haben Sie auch.«
»... und Sie wirken nicht wie jemand, der viel für Jammerlappen übrig hat.« Nic hebt den Kopf und sieht Scarpetta an. »Schließlich sind die Leute zu Ihnen auch nicht immer nett.«
Scarpetta lacht auf. »Das ist noch stark untertrieben.«
»Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Die Leute sind neidisch auf Sie, und Sie mussten viele Kämpfe ausfechten. Ich meinte damit nur, dass Sie sich nie beklagen.«
»Da sollten Sie mal Rose fragen.« Scarpetta ist ziemlich amüsiert.
Nics Kopf ist wie leer gefegt, als ob sie eigentlich wissen müsste, wer Rose ist, es jedoch vergessen hat.
»Meine Sekretärin«, erklärt Scarpetta und trinkt einen Schluck Kaffee.
Verlegenes Schweigen. »Was ist aus den anderen beiden geworden?«, fragt Nic nach einer Weile.
Scarpetta versteht nicht.
»Den beiden anderen Frauen in Ihrem Studienjahrgang.«
»Eine hat das Handtuch geworfen. Ich glaube, die andere hat geheiratet und ihren Beruf nie ausgeübt.«
»Ich wüsste gern, wie sie heute zu ihrer Entscheidung stehen. Wahrscheinlich bereuen sie es.«
»Bestimmt machen sie sich über mich dieselben Gedanken«, erwidert Scarpetta. »Und sicher glauben sie, dass ich meine Entscheidung auch bereue.«Nic öffnet ungläubig den Mund. »Sie?«
»Man muss für alles Opfer bringen. Normalerweise kommt man erst dahinter, wenn man erreicht, was man sich im Leben immer gewünscht hat, und zu seinem Entsetzen feststellen muss, dass man dafür Hass anstelle von Beifall erntet.«
»Ich glaube nicht, dass ich gehasst werde. Vielleicht werde ich häufig aufgezogen ... aber nicht zu Hause«, entgegnet Nic rasch. »Nur weil ich bei einer kleinen Polizeidienststelle arbeite und nicht in Los Angeles, bin ich noch lange nicht dumm.« Als sie sich für ihr Thema zu erwärmen beginnt, wird ihre Stimme lauter. »Ich bin kein hinterwäldlerischer, zurückgebliebener Schlammkriecher ...«
»Schlammkriecher.« Scarpetta runzelt die Stirn. »Ich glaube, dieses Wort kenne ich noch nicht.«
»Das ist eine Art Flusskrebs.«
»Hat jemand in Ihrem Kurs Sie als Flusskrebs bezeichnet?«
Wider Willen muss Nic grinsen. »Ach, zum Teufel. Die meisten haben wahrscheinlich noch nie im Leben einen Flusskrebs gesehen und wissen gar nicht, was das ist.«
»Aha.«
»Aber ich verstehe, was die anderen meinen, so halbwegs zumindest«, sagt Nic. »In Zachary gibt es nur zwei weibliche Streifenpolizisten. Ich bin die einzige Frau bei der Kriminalpolizei, und das liegt nicht etwa daran, dass der Polizeichef frauenfeindlich wäre. Wir haben sogar eine Bürgermeisterin. Doch wenn ich im Pausenraum bin, um mir einen Kaffee zu holen oder etwas zu essen, bin ich meistens die einzige Frau. Offen gestanden mache ich mir nur selten Gedanken deswegen. Aber hier in der Academy ist es mir oft im Kopf herumgegangen ... Anscheinend gebe ich mir zu viel Mühe, zu beweisen, dass ich keine Hinterwäldlerin bin. Und damit falle ich allen auf die Nerven ... Tja, ich weiß, dass Sie weg müssen«, unterbricht sie sich. »Bestimmt müssen Sie noch packen, und ich möchte nicht, dass Sie Ihr Flugzeug verpassen ...«»Nicht so schnell«, erwidert Scarpetta. »Ich finde, dieses Gespräch ist noch nicht zu Ende.«
Nic wird etwas lockerer. Ihr hübsches Gesicht wirkt jetzt lebendiger, und ihr schlanker Körper kauert nicht mehr starr auf der Sesselkante. Als sie weiterspricht, klingt sie weniger nervös.
»Ich verrate Ihnen jetzt, was das größte Kompliment war, das ich während der ganzen zehn Wochen bekommen habe: Reba meinte, ich sähe Ihnen ein bisschen ähnlich ... Natürlich war sie wieder mal blau ... Hoffentlich habe ich Sie jetzt nicht beleidigt.«
»Wohl eher sich selbst«, gibt Scarpetta bescheiden zurück. »Wenn ich den Angaben in Ihrer Anmeldung trauen kann, bin ich nämlich ein bisschen älter als Sie.«
»Sechsunddreißig im August. Es ist erstaunlich, was Sie sich alles über andere Leute merken.«
»Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, so viel wie möglich über meine Mitmenschen zu erfahren. Zuhören ist wichtig. Die meisten Leute sind ständig damit beschäftigt, Schlüsse zu ziehen, und
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