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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Gesicht.
    »Das sind Dummheiten; das sind lauter Possen. Das sind lauter Possen, weil Lebjadkin ein Trunkenbold ist. Ich habe zu Liputin nichts gesagt, sondern nur erklärt, daß es Possen sind; denn jener Mensch hat gelogen. Liputin hat viel Phantasie; aus einer Mücke macht er einen Elefanten. Ich habe ihm gestern geglaubt.«
    »Und heute glauben Sie mir?« fragte ich lachend.
    »Sie wissen ja schon von vorhin über alles Bescheid. Liputin ist entweder schwach oder ungeduldig oder böswillig oder ... neidisch.«
    Das letzte Wort fiel mir auf.
    »Sie haben da so viele Kategorien aufgestellt, daß es nicht wunderbar ist, wenn er in eine von ihnen hineingehört.«
    »Oder auch in alle zusammen.«
    »Ja, auch das könnte sein. Liputin ist ein reines Chaos. Hat er das wirklich heute erlogen, daß Sie eine Abhandlung schreiben wollen?«
    »Warum soll er das erlogen haben?« erwiderte er, wieder mit finsterer Miene und zu Boden blickend.
    Ich bat um Entschuldigung und versicherte ihm, daß ich ihn nicht ausfragen wolle. Er wurde rot.
    »Er hat die Wahrheit gesagt; ich schreibe. Aber das ist ganz egal.«
    Ein Weilchen schwiegen wir beide; auf einmal trat auf sein Gesicht das kindliche Lächeln, das ich schon von vorhin kannte.
    »Das von den Köpfen hat er selbst aus einem Buche entnommen und mir selbst zuerst gesagt; er versteht aber schlecht, was ich vorhabe. Ich suche nur die Ursache, weswegen die Menschen es nicht wagen, sich das Leben zu nehmen; weiter nichts. Und das ist ganz egal.«
    »Was meinen Sie damit, daß die Menschen es nicht wagen? Gibt es denn etwa so wenig Selbstmörder?«
    »Sehr wenige.«
    »Finden Sie das wirklich?«
    Er antwortete nicht, stand auf und begann nachdenklich auf und ab zu gehen.
    »Was hält denn Ihrer Ansicht nach die Menschen vom Selbstmorde zurück?« fragte ich.
    Er sah mich zerstreut an, wie wenn er sich zu besinnen suchte, wovon wir gesprochen hätten.
    »Ich ... ich bin mir darüber noch nicht ganz im klaren ... Zwei vorgefaßte Meinungen sind es, die die Menschen zurückhalten; zwei Dinge, nur zwei; ein sehr kleines und ein anderes sehr großes. Aber das kleine ist auch sehr groß.«
    »Was ist denn das kleine?«
    »Der Schmerz.«
    »Der Schmerz? Ist denn das so wichtig ... in einem solchen Falle?«
    »Das steht an erster Stelle. Es gibt zwei Arten von Selbstmördern: solche, die sich entweder aus großem Kummer töten oder aus Ingrimm oder im Wahnsinn oder aus ähnlichem Grunde ... die tun es alle plötzlich. Die denken wenig an den Schmerz, sondern tun es plötzlich. Aber diejenigen, die es mit Überlegung tun, die denken viel darüber nach.«
    »Aber gibt es denn solche, die es mit Überlegung tun?«
    »Sehr viele. Wenn die vorgefaßte Meinung nicht da wäre, würden es noch mehr sein; sehr, sehr viele; alle.«
    »Nun, nun! Wirklich alle?«
    Er schwieg.
    »Gibt es denn kein Mittel, um schmerzlos zu sterben?« fragte ich.
    »Denken Sie sich,« erwiderte er, indem er vor mir stehen blieb, »denken Sie sich einen Stein von solcher Größe wie ein großes Haus; er hängt, und Sie befinden sich unter ihm; wenn er herunterfällt, Ihnen auf den Kopf, wird Ihnen das weh tun?«
    »Ein hausgroßer Stein? Gewiß, das ist ja furchtbar.«
    »Von der Furcht rede ich nicht; wird es weh tun?«
    »Ein Stein wie ein Berg? Ein Stein, der Millionen Pud schwer ist? Selbstverständlich wird es nicht weh tun.«
    »Aber obwohl Sie das einsehen, werden Sie doch, solange er hängt, sehr fürchten, daß es weh tun werde. Der größte Gelehrte, der klügste Mann, alle, alle werden sie das sehr fürchten.«
    »Nun, und die zweite Ursache, die große?«
    »Das Jenseits.«
    »Das heißt: die Bestrafung?«
    »Ganz egal; das Jenseits; nur das Jenseits.«
    »Gibt es nicht solche Atheisten, die überhaupt nicht an ein Jenseits glauben?«
    Er schwieg wieder.
    »Sie urteilen vielleicht nach sich?« fragte ich.
    »Jeder kann nur nach sich urteilen,« sagte er errötend. »Die volle Freiheit wird dann da sein, wenn es dem Menschen ganz egal sein wird, ob er lebt oder nicht. Das ist das Ziel für die Gesamtheit.«
    »Das Ziel? Aber dann wird vielleicht niemand mehr leben wollen?«
    »Nein, niemand,« erwiderte er in entschiedenem Tone.
    »Der Mensch fürchtet den Tod, weil er das Leben liebt; so fasse ich das auf,« bemerkte ich, »und so hat es die Natur gewollt.«
    »Das ist gemein, und hierin steckt der Betrug!« Seine Augen funkelten. »Das Leben ist Schmerz, das Leben ist Furcht, und der Mensch ist unglücklich.

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