Die Dämonen
auf den ersten Blick erkennen, mit was für Leuten sich Warwara Petrowna auch in der Abgeschiedenheit der Provinz umgab. Indessen kam es anders. Als der Baron die völlige Glaubwürdigkeit der sich damals erst soeben verbreitenden Gerüchte über die große Reform positiv bestätigte, da konnte sich Stepan Trofimowitsch auf einmal nicht mehr halten und rief: »Hurra!« ja, er machte sogar mit dem Arm eine Gebärde, die sein Entzücken zum Ausdruck brachte. Er rief ja zwar nicht laut und sogar in einer eleganten Manier; sein Entzücken war sogar vielleicht ein vorherüberlegtes und die Gebärde eine halbe Stunde vor dem Tee absichtlich vor dem Spiegel einstudiert; aber die Sache mußte doch wohl bei ihm nicht richtig herausgekommen sein, da der Baron sich erlaubte zu lächeln, obgleich er sofort mit außerordentlicher Höflichkeit eine Redewendung über die allgemeine, erklärliche Rührung aller russischen Herzen angesichts des großen Ereignisses einfließen ließ. Bald darauf brach er auf und vergaß beim Abschiede nicht, Stepan Trofimowitsch zwei Finger hinzustrecken. Als Warwara Petrowna in den Salon zurückkehrte, schwieg sie zunächst etwa drei Minuten lang und tat, als ob sie etwas auf dem Tische suche; plötzlich aber wandte sie sich zu Stepan Trofimowitsch und murmelte leise mit blassem Gesichte und funkelnden Augen:
»Das werde ich Ihnen nie vergessen!«
Am andern Tage verkehrte sie mit ihrem Freunde, als ob nichts vorgefallen wäre; das Geschehene erwähnte sie niemals. Aber dreizehn Jahre später, in einem tragischen Augenblick, kam sie darauf zurück und machte ihm Vorwürfe, wobei sie ebenso blaß wurde wie dreizehn Jahre vorher, als sie ihn zum ersten Male deswegen gescholten hatte. Nur zweimal in ihrem ganzen Leben sagte sie zu ihm: »Das werde ich Ihnen nie vergessen!« Der Fall mit dem Baron war bereits der zweite derartige Fall; der erste ist in seiner Weise so charakteristisch und hatte, wie ich meine, für Stepan Trofimowitschs Lebensschicksal eine solche Wichtigkeit, daß ich mich dazu entschließe, auch ihn zu erzählen.
Es war im Jahre 1855, im Frühling, im Mai, bald nachdem in Skworeschniki die Nachricht von dem Tode des Generalleutnants Stawrogin eingelaufen war, eines leichtlebigen alten Herrn, der auf der Reise nach der Krim, wohin er zur aktiven Armee kommandiert war, an einer Magenverstimmung gestorben war. Warwara Petrowna war Witwe geworden und hatte tiefe Trauer angelegt. Sehr betrübt konnte sie allerdings nicht sein; denn in den letzten vier Jahren hatte sie infolge des schlechten Zusammenpassens der beiderseitigen Charaktere von ihrem Manne völlig getrennt gelebt und ihm ein Jahrgeld gezahlt. (Der Generalleutnant selbst besaß nur hundertfünfzig Seelen und sein Gehalt, sowie außerdem sein Ansehen und seine Konnexionen; der ganze Reichtum aber, darunter auch das Gut Skworeschniki, gehörte Warwara Petrowna, der einzigen Tochter eines sehr reichen Branntweinpächters.) Nichtsdestoweniger war sie durch die unerwartete Nachricht tief erschüttert und zog sich ganz von der Geselligkeit zurück. Selbstverständlich befand sich Stepan Trofimowitsch beständig um sie.
Der Mai war in voller Blüte; die Abende waren wundervoll. Der Faulbaum duftete. Die beiden Freunde kamen jeden Abend im Garten zusammen, saßen bis zur Nacht in einer Laube und sprachen einer dem andern seine Gefühle und Gedanken aus. Es waren poetische Stunden. Warwara Petrowna sprach unter dem Eindrucke der in ihrem Schicksal eingetretenen Veränderung mehr als gewöhnlich. Sie schmiegte sich gewissermaßen an das Herz ihres Freundes, und so dauerte das mehrere Abende. Da fuhr dem braven Stepan Trofimowitsch plötzlich ein sonderbarer Gedanke durch den Kopf: ob die untröstliche Witwe nicht vielleicht auf ihn spekuliere und am Ende des Trauerjahres einen Antrag von ihm erwarte. Es war ein frivoler Gedanke; aber gerade durch die hohe Vollkommenheit der seelischen Organisation wird mitunter die Neigung zu frivolen Gedanken befördert, schon allein infolge der Vielseitigkeit der Entwicklung. Er begann darüber nachzudenken und fand, daß es allerdings danach aussehe. Er dachte: »Es ist ein gewaltiges Vermögen; aber ...« In der Tat, Warwara Petrowna konnte keinen Anspruch darauf erheben, eine Schönheit genannt zu werden: sie war eine hochgewachsene, gelbliche, knochige Frau mit unverhältnismäßig langem Gesichte, das einigermaßen an einen Pferdekopf erinnerte. Immer mehr und mehr geriet Stepan Trofimowitsch ins
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