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Die Dämonen

Titel: Die Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Jahre alt ist? Aber aus einer Art von politischer Koketterie machte er sich nicht nur nicht jünger, sondern war gewissermaßen auf sein höheres, gesetztes Lebensalter stolz, und in seinem Kostüme, bei seinem hohen Wuchse, seiner Magerkeit und mit dem auf die Schultern reichenden Haare glich er einigermaßen einem Patriarchen oder, noch richtiger, dem lithographierten Bilde des Dichters Kukolnik, das einer in den dreißiger Jahren gedruckten Ausgabe seiner Gedichte beigegeben war. Die Ähnlichkeit trat besonders hervor, wenn Stepan Trofimowitsch im Sommer im Garten auf einer Bank unter einem blühenden Fliederstrauche saß, sich mit beiden Händen auf seinen Stock stützte, ein aufgeschlagenes Buch neben sich liegen hatte und sich in poetische Gedanken über den Sonnenuntergang versenkte. Was Bücher anlangt, so bemerke ich, daß er gegen das Ende seines Lebens immer mehr davon zurückkam, solche zu lesen. Übrigens war das erst ganz kurz vor seinem Ende der Fall. Zeitungen und Journale, deren Warwara Petrowna eine große Menge hielt, las er beständig. Für die Erfolge der russischen Literatur interessierte er sich gleichfalls dauernd, ohne dabei seiner eigenen Würde etwas zu vergeben. Eine Zeitlang fing er schon an, sich durch das Studium der höheren zeitgenössischen Politik auf dem Gebiete der inneren und äußeren Angelegenheiten fesseln zu lassen; aber bald gab er diese Beschäftigung geringschätzig wieder auf. Auch das kam nicht selten vor, daß er Tocqueville mit in den Garten nahm und einen Band Paul de Kock in der Tasche versteckt trug. Indessen das sind Lappalien.
    Über das Bild Kukolniks bemerke ich in Parenthese folgendes. Dieses Bild war Warwara Petrowna zum erstenmal in die Hände gekommen, als sie sich noch als junges Mädchen in einer vornehmen Moskauer Pension befand. Sie verliebte sich sofort in dieses Bild, wie es die Gewohnheit aller jungen Pensionärinnen ist, sich in alles zu verlieben, was ihnen vor Augen kommt, zugleich auch in ihre Lehrer, namentlich in die Schreib- und Zeichenlehrer. Merkwürdig war aber dabei nicht das Verhalten des jungen Mädchens, sondern vielmehr der Umstand, daß Warwara Petrowna noch, als sie schon fünfzig Jahre alt war, dieses Bild unter ihren liebsten Kostbarkeiten aufbewahrte und vielleicht nur deswegen für Stepan Trofimowitsch ein Kostüm entwarf, das mit dem auf dem Bilde dargestellten einige Ähnlichkeit hatte. Aber auch das ist natürlich unwichtig.
    In den ersten Jahren oder, genauer gesagt, in der ersten Hälfte seines Aufenthaltes bei Warwara Petrowna hatte Stepan Trofimowitsch immer noch an dem Gedanken festgehalten, eine Abhandlung zu schreiben, und es sich täglich ernsthaft vorgenommen. Aber in der zweiten Hälfte begann er offenbar schon das zu vergessen, was er früher gewußt hatte. Immer häufiger sagte er zu uns: »Ich möchte meinen, daß ich zur Arbeit vorbereitet bin, das Material beisammen habe, und doch schaffe ich nichts! Es kommt nichts zustande!« und er ließ in trüber Stimmung den Kopf hängen. Ohne Zweifel mußte dies ihm als einem Märtyrer der Wissenschaft in unseren Augen eine noch höhere Bedeutung verleihen; aber er selbst wollte noch auf etwas anderes hinaus. »Man hat mich vergessen; niemand bedarf meiner!« Diese Klage entrang sich nicht selten seiner Brust. Diese gesteigerte Hypochondrie bemächtigte sich seiner besonders ganz am Ende der fünfziger Jahre. Warwara Petrowna gelangte schließlich zu der Erkenntnis, daß die Sache ernst sei. Auch konnte sie den Gedanken nicht ertragen, daß ihr Freund vergessen sei und niemand seiner bedürfe. Um ihn zu zerstreuen und zugleich seinen Ruhm wieder aufzufrischen, nahm sie ihn damals mit nach Moskau, wo sie mit mehreren hervorragenden Literaten und Gelehrten bekannt war; aber auch Moskau brachte nicht die gewünschte Wirkung hervor.
    Es war damals eine eigenartige Zeit; es kündigte sich etwas Neues an, das der bisherigen Stille sehr unähnlich war, etwas sehr Seltsames, das aber überall gespürt wurde, sogar in Skworeschniki. Allerlei Gerüchte drangen bis dorthin. Die Tatsachen waren im allgemeinen mehr oder minder bekannt; aber es war klar, daß außer den Tatsachen auch gewisse sie begleitende Ideen aufgetaucht waren und, was die Hauptsache war, in außerordentlicher Menge. Aber gerade das richtete Verwirrung an: es war schlechterdings unmöglich, sich darin zu orientieren und sich ordentlich darüber klar zu werden, was diese Ideen nun eigentlich zu bedeuten hatten.

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