Die Dame aus Potsdam
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Der verträumte Griebnitzsee zwischen dem Berliner Forst und dem Prominentenviertel Neu-Babelsberg ist vor allem denjenigen bekannt, die an seinem Südufer in ihren Villen und Gärten die angenehmeren Seiten des Lebens genießen dürfen. Wie gegossenes Blei steht das Wasser gegen das dicht bewaldete Nordufer, wenn es nicht vom Wind oder den langsam dahintuckernden Lastkähnen bewegt wird. Der Teltowkanal hat zwar im Laufe der Jahre einige Unruhe gebracht, die Idylle am Rande der Großstadt aber noch nicht zerstören können.
Nahezu dreißig Jahre lang hatten die Bewohner der alten Ufa-Filmmetropole Babelsberg an ihrem See nichts zu suchen gehabt, selbst dann nicht, als die Ufa zur volkseigenen DEFA geworden war. Die Mauer hat den Griebnitzsee für eine Menschengeneration verschwinden lassen. Auch sein Wasser war Stasi-Land. Jetzt noch kündet die durchbetonierte Uferstraße von einer Zeit, in der hier schnelle Fahrzeuge die Verbindung zu den Wachtürmen der Grenztruppen hielten. – Wen interessiert das noch! Ein leichtes Heben der Schultern – nun ja, es war einmal; abgehakt im Buch der Geschichte.
Auf der Terrasse der Villa Editha bat Beate Randolf, die Herrin des Hauses, ihre Gäste aus Bonn an den Kaffeetisch. Es gab von ihr gebackene Himbeertorte mit Sahne und einen goldbraunen Gugelhupf. Nur langsam verklangen die Ahs und Ohs über das Haus am See und den Reiz der Landschaft.
Beate Randolf, eine langbeinige Mittdreißigerin mit auf die Schultern fallenden dunklen Haaren, gab sich bescheiden. »Ja, es ist sehr schön hier, besonders nachdem wir die Besitzrechte bestätigt bekommen haben; auch die Arisierung hat keine Probleme mehr aufgeworfen.«
Die Gäste aus Bonn nahmen diese Feststellung mit einem Kopfnicken zur Kenntnis. Beate Randolf hob eine bestickte Kaffeemütze aus Großmutters Zeiten von der Kanne und goß die Tassen dreiviertel voll. Das Service aus Meißner Porzellan mit einem zarten Blumendekor fand rückhaltlose Bewunderung.
Stefan und Ellen Munskau waren aber nicht nur vom Rhein an den Griebnitzsee gereist, um eine alte Bekanntschaft aufzufrischen und sich am Gugelhupf zu laben – sie hatten sich vor wenigen Stunden ein bebautes Grundstück an der nahe gelegenen Virchowstraße vertraglich gesichert, um es einer amerikanischen Werbefilmagentur zu vermitteln.
Beate Randolf hatte sie auf dieses Projekt aufmerksam gemacht und war ihnen behilflich gewesen. Ein von der Stasi vertriebener »Kapitalist« hatte sein Landhaus am See zwar zurückerhalten, sich aber bei der Renovierung des heruntergewirtschafteten Gebäudes finanziell so übernommen, daß es ihm jetzt nur noch darum ging, durch den Verkauf des Anwesens einen so großen Erlös zu erzielen, daß er in einem Seniorenheim einen angenehmen Lebensabend verbringen konnte.
Die Immobilienmakler Munskau aus Bonn hatten also keine Schwierigkeiten, ihrem amerikanischen Klienten ein Luxusobjekt zu verschaffen und dabei selbst eine satte viertel Million Gebühren zu kassieren.
»Und ihr denkt wirklich nicht daran, euch hier im Raum Berlin niederzulassen?« fragte Beate Randolf mit einigem Nachdruck. »Ein ergiebigeres Dorado für Makler und Rechtsanwälte gibt es doch nirgends. Wer in den nächsten Jahren auf Draht ist, kann Millionen verdienen. In unserer guten alten Ex-DDR wird auf- und abgeräumt; wir erleben das jeden Tag hautnah; so geht es bestimmt noch bis zum Jahr 2000.«
Die Besucher schüttelten abwehrend die Köpfe.
»Seht nur«, fuhr Beate fort, »dort drüben in der Villa hat Väterchen Stalin gewohnt und manches Mal von dem ovalen Balkon auf den Griebnitzsee geschaut. Das war zu der Zeit, als er im Schloß Cecilienhof mit Truman, Churchill und Attlee über die Zukunft Deutschlands verhandelt hatte.«
Bei der schnellen Drehung des Kopfs warf Ellen Munskau ihr halblanges, kastanienbraun gefärbtes Haar zurück. »Du meinst die Zeit des Potsdamer Abkommens. Vergiß das Ganze. Seitdem hat sich viel ereignet; wir stecken wieder voll im Kapitalismus.«
Stefan Munskau ließ seine grauen Augen langsam über beide Frauen gleiten. »Und wir leben gar nicht so schlecht dabei, besser jedenfalls als zur Zeit der Mauer.«
»Bedient euch doch bitte«, sagte Beate Randolf und goß Kaffee nach.
»Dein Kuchen ist ausgezeichnet. Ich kann einfach nicht widerstehen, wenn so herrliche Sachen auf den Tisch kommen.« Ellen Munskau hatte sich für ein weiteres Stück Himbeertorte entschieden.
»Aber warum hast du für deinen Mann
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