Die Dame aus Potsdam
Hatte sie nicht auch mal was mit Bernd Kalisch gehabt? Sollte sie vielleicht eine Schlüsselfigur »kultivieren«, also zum Weitermachen für eine längst verlorene Sache gewinnen, oder hatte Valentin sie angesetzt, um herauszufinden, warum seine Frau sich dem Bonn-Zirkel angeschlossen hatte?
Da war es wieder, das Spektrum des Verdachts und der Verdächtigungen. Es würde wohl für lange Zeit unmöglich sein, den Menschen und dem Alltag unbeschwert zu begegnen. Beate wußte, daß auch sie das Stigma eines Systems trug, das seine Mitarbeiter des Vertrauens beraubt und zum Objekt gemacht hatte.
Die leise Musik und die gedämpften Geräusche ließen die Gedanken verschwimmen.
Der Halt des Busses in Helmstedt schreckte auch andere Reisende auf. An der Autobahnraststätte herrschte Hochbetrieb, vor allem an den Türen mit den zwei Nullen.
Beate war mit dem Vorsatz wach geworden, Silke Marino anzusprechen; schließlich fuhren sie gemeinsam im Bus demselben Ziel entgegen. Ein Kontakt würde sich sowieso nicht vermeiden lassen. Allerdings war Helmstedt nicht der richtige Ort, doch beim Imbiß im Weserbergland würde es eine Gelegenheit geben.
Nach der Abfahrt Porta Westfalica hatte der Busfahrer eine ländliche Gaststätte angesteuert, die ein schnelles Selbstbedienungsessen für durchreisende Touristen anbot. Vom Parkplatz aus hatten die Besucher einen freien Blick auf die steil abfallende Kuppe des Wiehengebirges mit der mächtigen Krone aus Stein, unter der Kaiser Wilhelm seine monumentale Gunst verströmte. Im Tal schimmerte silbern das Band der Weser.
»Das ist wirklich ein starkes Zeichen deutscher Einheit«, stellte ein Sangesbruder fest und machte den Versuch, mit Silke Marino ins Gespräch zu kommen. Als diese sich nach einem kurzen Wortgeplänkel umdrehte, standen sich die beiden Frauen gegenüber.
»Hallo, Frau Marino, wir haben uns lange nicht mehr gesehen«, grüßte Beate und trat noch einen Schritt vor. »Ich dachte schon, Sie hätten Ihre Karriere im Westen fortgesetzt. Beim Bonn-Zirkel hätte ich Sie am allerwenigsten erwartet.«
Silke Marino fühlte sich offensichtlich unbehaglich. Ihr lag nichts daran, sich mit der Frau zu unterhalten, die wußte, daß ihr Ehemann seine Nächte lieber mit der IME im Liebesdienst verbracht hatte als in der Villa am Griebnitzsee.
»Ich bin nicht sehr aktiv im Zirkel. Mir geht es nur darum, die günstige Fahrgelegenheit nach Westdeutschland zu nutzen. Ich arbeite für eine amerikanische Werbeagentur, die sowohl im Westen als jetzt auch in den DEFA-Studios dreht.«
»Und wegen der Vergangenheit gibt’s keine Probleme?« fragte Beate sehr direkt.
»Nein, was jetzt zählt, ist die schauspielerische Leistung«, stellte die Marino selbstbewußt fest. »Mein Manager weiß das zu schätzen.«
Beate nickte. »O ja, ich verstehe, in dieser Richtung hatten Sie wohl nie Schwierigkeiten – und Reiseerfahrungen haben Sie ja auch.«
»Entschuldigen Sie mich, ich muß mir jetzt meinen Lunch holen«, sagte Silke und ging zum Selbstbedienungsbüfett.
Das neue Vokabular ist ihr schon geläufig, dachte Beate. Die weiß schon, wo der Bartel den Most holt.
So kurz das Gespräch gewesen war – es hatte Klarheit gebracht. Silke Marino legte offensichtlich keinen Wert darauf, mit Beate zu sprechen, die zuviel von der Vergangenheit wußte und als betrogene Ehefrau gefährlich werden konnte.
Vielleicht wäre Silke umgänglicher gewesen, wenn sie geahnt hätte, wie gleichgültig Beate solchen Beziehungen gegenüber stand. Sie hatte nur den Wunsch, endlich ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und die Gespenster der Vergangenheit zu vergessen. Ihre Ehe wollte sie allerdings aus rein praktischen Erwägungen immer noch aufrechterhalten, denn auch sie konnte es sich nicht leisten, Valentin zum Feind zu haben.
Bonn stellte sich wieder einmal als die nördlichste Stadt Italiens dar. Sonne über dem Rhein, heitere Menschen auf den Plätzen, vor den Straßencafes, viel Jugend in bunter Kleidung, Geschäftigkeit ohne Hektik – und ein Klima, wie gemacht für die Landschaft. Auf der Terrasse der Beethovenhalle am Ufer des Flusses gab es zur Begrüßung der Gäste aus Potsdam Kaffee und Kuchen sowie die wohlgesetzten Worte des Bürgermeisters über Sinn und Zweck der Städtepartnerschaft. Blitzlichter zuckten, und die Pressevertreter notierten Namen und Daten. Besonderen Beifall erhielt der Sponsor, der diskret, aber durchaus medienwirksam, auf seinen Anteil am Gelingen des
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