Die Delegation
ein. Dann rannten wir beide. Ertappte Kinder fliehen vor dem schwarzen Mann.
Lagerschuppen und Kräne waren verschwunden. Wir stolperten über Betonklötze und Schienen, liefen immer den Flutsaum entlang, den Weg zurück, rannten um unser Leben. Schließlich fielen wir in den Sand, erschöpft, lachend, atemlos. Zu atemlos, um weiterzuküssen, das Spiel weiterzuspielen. Ihre Haut war heiß und feucht, der Sand war kühl, hart und kühl und naß, festgetrommelt von der Flut, die langsam vor uns zurückwich.
Ein Stück weiter unten stand eine dunkle Gestalt, unbeweglich, ein Angler. Der hatte nur kurz herübergesehen zu uns, jetzt starrte er wieder hinaus auf das tobende Wasser. Langsam erwachten wir aus unserer Reglosigkeit, lösten unsere Umklammerung, richteten uns auf, sahen aufs Wasser, hatten beide die gleiche Idee, ohne Worte, wiederum stumme Übereinkunft; der mexikanische Hut flog in den Sand, Bluse, Stiefel, wieder sah der Angler kurz herüber, als wir losrannten. Jessicas Haut leuchtete weiß, und wir tauchten unter. Schon die erste Welle wirbelte uns gegen den Grund, verschlang uns, spie uns wieder aus, wir schnappten nach Luft, umklammerten uns, lagen im ablaufenden Wasser, das uns eingrub in den Sand, der nächste Brecher überschüttete uns mit Gischt, verschlug uns den Atem, riß uns mit, wir stemmten uns gegen den Sog, der uns ausgrub, fortspülte, wir ließen uns nicht los, keine Sekunde, waren wehrlos dadurch, gefesselt, gefangen …
Der Stille Ozean tobte, zog uns hinaus, hinunter – und warf uns wieder zurück auf den Strand.
Das war kein Meer, um sich darin zu lieben – sich schwebend zu vereinen – das waren elementare Gewalten, herrlich und triumphal, um gemeinsam zu sterben.
Zum zweitenmal um Erfüllung betrogen, in die Flucht geschlagen, taumelten wir über den Sand.
Eine Polizeistreife leuchtete mit Taschenlampen zu uns herüber, ein naives Ritual. Unübersehbar, weiß und nackt, liefen wir durch das gleißende Mondlicht.
Naß schlüpften wir in die Kleider, rannten zum Wagen, naß fuhren wir durch die leeren Straßen.
Ein erstaunter Portier, ein erschreckter Boy im Lift. Wir nahmen uns nicht die Zeit, Licht zu machen, die Vorhänge zu schließen, Sand und Salz abzuduschen, die Haare zu trocknen. Eine dritte Flucht war nicht mehr eingeplant. Durch das Fenster flackerte der irre, stete Rhythmus einer Lichtreklame, rot-grün-blau, geisterte über die Wände, über die Decke.
Sandelholz und Salz.
Zwischen den Zähnen knirschte der Sand, das Meer brannte noch auf der Haut, auf den Lippen.
Irgendwo klopfte jemand gegen eine Tür, irgendwo spielte Radiomusik. Wir hielten uns fest, keiner ließ den anderen mehr los, ein ungebrochener Wille, ein Ziel. Wir waren nicht atemloser gewesen, als wir um unser Leben rannten, nicht atemloser, als uns der Pazifik zu verschlingen drohte. Roczinski ist tot!
Roczinski ist tot? Wieso? Was ist mit Roczinski? Stand dieser Tote zwischen uns, mußte er besiegt werden, übertrumpft? Hieß das hier, seinen Spuren folgen?
Oder hieß es, ihn auslöschen, vernichten, beseitigen? Roczinski, das war ich, das war immer nur ich, ich! Ich habe diese Leute erfunden, ich habe diese Rollen gefilmt, Fiktion, Lüge, Betrug, ein Taschenspielertrick, Gaukelei, Roczinski, das war meine Idee, eine Puppe, eine Marionette, ein Stellvertreter, der meine Texte sprach, nach meiner Pfeife tanzte, der vergeblich aufbegehrte, er war manipuliert, inszeniert, kam, wenn ich ihn rief, verschwand und starb nach meinem Wunsch. Einen Roczinski hat es nie gegeben.
Die Wahrheit kommt ans Licht: Das flackert rot-grün-blau über die Wände, rot-grün-blau – ein steter Wechsel. Versunken in Mutter Erde. Ein gelobtes Diesseits. Es ist heiß, heiß und schwül. Ich schmecke wieder Salz auf meiner Zunge, Salz und Sand und atme den Duft von Sandelholz. Später wird der Lärm unerträglich. Im frühen Licht des Morgens schiebt sich eine unendliche Kolonne dröhnender Wagen durch die Straße vor dem Fenster. Immer noch pulst gegenüber das Licht dieser Reklame in seinem abrupt wechselnden Farbenspiel, rot-grün-blau, aber es liegt keine Kraft mehr darin, nichts dringt mehr herüber über die verpestete, lärmende Straße.
Eine matte Sonne sticht durch den Smog. Bevor ich die Vorhänge schließe, sehe ich einen breiten Mund, verwischtes Make-up, winzige Brüste eingebettet zwischen verdrehten Laken, zerwühlten Kissen, ein schlafender Clown. Ich wecke ihn auf – zärtlich, behutsam –, und
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