Die Delegation
Beilke war überführt worden, als sie gerade versucht hatte, den Streifen einzuschmuggeln. Aber sie nickte nur. Die Mädchen hatten davon nichts mitbekommen, wurden auch nicht weiter informiert, wühlten immer noch erfolglos in Körben und Kartons, verzweifelt, ängstlich, vielleicht sogar den Tränen nahe, wer weiß! »Worauf warten Sie denn noch?« Frau Beilke hatte sich umgedreht zu uns. So sah sie also aus. Gar nicht unnett – nur eben völlig kaputt, müde, vom ständigen Termindruck verschlissen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, es geht nicht! Worauf warten Sie denn noch?«
»Auf Ihre Antwort!« Kufner lächelte mit Anstrengung. »Ich habe Sie doch vorhin etwas gefragt…«
Frau Beilke wendete sich ab, arbeitete weiter; möglich, daß sie den Kopf geschüttelt hat.
»Ich habe vorgeschlagen: Während der Abnahme um sechzehn Uhr könnten Ihre Damen doch unten im Archivbunker suchen. Oder müssen die dabeisein?«
»Die finden doch nichts… finden doch nie was!« Die Mädchen standen wie verschreckte Rehe bis zum Knie im Farbfilm und nahmen die Witterung einer neuen Katastrophe auf. Sie rührten sich nicht. Es sah aus, als hielten sie sich an ihren brennenden Zigaretten fest.
»Also was nun?« – Aber Frau Beilke schwieg, klebte weiter zusammen, fuhr den Film vor und zurück. Das Bild flimmerte, aber es war nichts zu erkennen. Vier feindliche Rücken deckten es ab.
»Achtzehn Sekunden – Scheiße, wieder zu lang!« Einer der Redakteure schmiß seine Stoppuhr auf den Tisch. »Okay«, sagte Kufner, »wir kommen also um sechzehn Uhr dreißig!« Und knallte die feuersichere Tür hinter uns zu. Kufner mußte zu einer Besprechung, den hatte ich auch schon genügend behelligt, da gab’s auch nichts weiter zu bereden zwischen uns, zumindest nicht im Augenblick. Die Redakteure von der Hauptabteilung Fernsehspiel und Film, mit denen ich sonst zu tun hatte, die hockten drüben in Mainz und waren über meinen unangemeldeten Besuch nicht so sehr glücklich gewesen.
Kufners Sekretärin buchte also liebenswürdigerweise meinen Rückflug nach München für die Abendmaschine – das einzig Sinnvolle, das mir einfiel. Und genau dies war sinnlos und voreilig, wie sich bald herausstellen sollte. Den Weg zum Filmgeberraum fand ich diesmal allein. Die neuen ›Farbfilmabtaster‹ waren eindrucksvoll, zugegeben, und vermutlich sehr teuer. Und das Busenmädchen hatte wohl seinen Traum von der glückhaften Karriere für heute begraben. Kein unverschämtes Lächeln war ihr mehr abzugewinnen. Und aus der Löwenmähne waren inzwischen Zöpfe geworden.
Vielleicht war die Anwesenheit ihrer Kollegin daran schuld. Die war brünett und noch wesentlich attraktiver. Die erzählte von sich, sofort und unaufgefordert. Sie hatte vier Jahre intensiven Ballettunterricht genommen, alle hatten ihr eine große Zukunft prophezeit, und nun war sie hier gelandet, nach einer Ausbildung am Rundfunktechnischen Institut. Das fand ich sehr vernünftig!
Sie sprach jenes dezente Stuttgarter Schwäbisch, wie es einem in der großen, weiten Welt immer wieder begegnet. Besonders, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Bavaria, in der bayerischen Filmstadt. Dort ist Schwäbisch gewissermaßen zur Amtssprache geworden – wie Englisch einst im kolonisierten Indien.
Hermann Höhn, ein alter Freund und Bekannter, Hauptabteilungsleiter für Produktion, war nicht auffindbar. Schade. Wir hatten uns seit… na ja, fast zehn Jahre werden’s wohl sein, nicht mehr gesehen. Als mich der Regisseur Rudolf Jugert ein paar Tage nach meinem Abitur als Regieassistent verpflichtet hatte, war Hermann Höhn Produktionsleiter bei Eric Pommer gewesen und hatte in dieser Funktion meinen allerersten Vertrag unterschrieben. Fünfundzwanzig Mark in der Woche. Halt, nein: Als der alte Pommer erfuhr, daß ich direkt von der Schulbank kam, daß ich erst mal lernen wollte, wie man Filme macht, und daß mir das Geldverdienen noch nicht so sehr am Herzen lag, wie zum Beispiel heute, da meinte er, zwanzig Mark in der Woche würden es wohl auch tun. Und dabei blieb es dann. Und da heißt es immer, beim alten deutschen Film hätten die mit Gagen nur so um sich geschmissen. Das ist nun auch schon zwanzig Jahre her. Zwanzig Jahre Film und Fernsehen – und immer noch die Scheu, in ein fremdes Studio zu gehen, wenn man dort nichts verloren hat. Das sähe so aus wie Neugierde, Werkspionage, und ist deshalb ein ›Tabu‹ unter Kollegen.
Aber hier gab es eigentlich niemanden, der mich
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