Die Delegation
kannte, ich war hier draußen zum erstenmal, wozu also Hemmungen?
9
Das Studio III war nicht übermäßig groß, nicht übermäßig modern. Der Generalablauf der Drehscheibe sollte beginnen. Ein Rotlicht flammte auf, als ich gerade eingetreten war, eine Stimme brüllte: Ruhe – alles stehenbleiben! Die Tür fiel hinter mir zu – die Falle war zugeschnappt, der Rückweg versperrt, ich blieb also weisungsgemäß stehen. Fernsehen – live! – das ist in den Augen von uns Filmemachern in erster Linie Leistungssport! Beunruhigend, nervenzerfetzend! Unfaßbar, daß es Kollegen gibt, die solches freiwillig tun. Und sogar Spaß daran haben. Live – eine teuflische Mischung aus Theaterimprovisation und, zwangsläufig, technischer Präzision. Ein gigantischer Apparat muß da bewegt werden, der von allen Mitarbeitern roboterhafte Zuverlässigkeit verlangt und der natürlich extrem störanfällig ist. Ruhe – alles stehen bleiben! Schon wieder! Aus dem Lautsprecher kam nun die Stimme des Regisseurs, der oben in einem Glaskasten residierte: ›His masters voice‹ – ›master next god‹. »Verdammt noch mal, wann geht es endlich los?« Daraufhin ging es los:
Ein Wirbelwind wehte durchs Studio. Die Mitarbeiter schienen sich durch Zellteilung zu vermehren, aus allen Ecken und Winkeln kamen sie heraus: fünf – zehn – fünfzehn – zwanzig Personen…
Alle hatten sie Funktionen, waren Spezialisten. Sie schoben die monströsen elektronischen Farbkameras vor sich her, schleppten Kabel hinterdrein und Monitore. Fünfundzwanzig – dreißig…
Bühnenarbeiter, Szenenbildner, sie bauten auf und um. Fünfunddreißig – vierzig…
Beleuchter schwärmten aus, Scheinwerfer wurden montiert, Lampen gedreht, das Licht wurde verändert, gemessen. Fünfundvierzig – fünfzig…
Graphiken wurden aufgestellt und angestrahlt, Sprecher kamen herein, Schauspieler, gefolgt von Maskenbildnern, Garderobiers. Fünfundfünfzig – sechzig… Und erst die im Hintergrund: Tonmeister mit Assistenten, die Mädchen am Bildmischpult, am Filmgeber, die Cutterinnen, der Produktionsstab, die Aufnahmeleiter – und über allem: der Regisseur. Siebzig – neunzig – einhundertundsieben… Ich übertreibe? Ja, natürlich! Dadurch erreicht man immer eine gewisse Anschaulichkeit. Und anders funktioniert so ein Laden ja auch nicht. Besonders nicht ›live‹. Wenn ich da an unser kleines Team denke: sechs bis sieben Leute, Kollegen, Freunde, eine Handkamera, ein Tonbandgerät – aus! Damit fahren wir rund um die Welt, ohne Studio und ohne Ruhe – alles stehenbleiben: Jeder packt mit an, und so drehen wir unsere Filme.
Wenn ich daran denke und diesen Alptraum hier betrachte, dann bekomme ich schöne und zufriedene Gedanken. »Du siehst so unverschämt glücklich aus. Warum?« Hier muß man sich also treffen, ausgerechnet. Dabei sind wir fast Nachbarn – Guido Baumann und ich. Wir wohnen beide am Fuß unserer bayerischen Berge, dort, wo unsere Republik am schönsten und am schwärzesten ist. Allerdings liegen drei Flüsse zwischen uns.
»Ich sehe glücklich aus, weil’s mir gruselt. Und was machst du hier?«
Er hatte eine Marathonbesprechung hinter sich. Eine neue Sendereihe für das Nachmittagsprogramm wurde geplant. Jetzt hatte man kurz unterbrochen, einer der Gesprächspartner wirkte hier bei der Drehscheibe mit.
Guido Baumann ist vielen nur als der Schweizer Ratefuchs bekannt. Aber seltsame Berufe zu erraten, das ist nur sein Hobby, sozusagen ein Hobby mit Pensionsberechtigung, das kann er auch noch mit siebzig.
»Der Lembke hält noch dreißig Jahre durch, das ist kein Problem.«
Aber eigentlich ist der Guido ein Erfinder, ein kreativer Mensch, wie man heute sagt; er entwirft Sendungen, ist Drehbuchautor und Ideen-Produzent. Ruhe – alles stehenbleiben.
Wir flüchteten ins Freie, spazierten einmal rund um die Studios, es hatte angefangen zu regnen. Wir schwätzten über dies und das. Zum Beispiel über unsere Katzen, bayerische Landkatzen, Bauernkatzen. Guidos Katze heißt Sambo, die vorige hieß Doktor Murke – nach Böll.
Er verkehrt mit ihnen auf einer intellektuellen Basis. Er spricht zu den Tieren, und sie verstehen ihn. Telepathie zwischen Mensch und Tier? Man sollte endlich mal eine Sendereihe über Parapsychologie in Erwägung ziehen! »Und was macht dein neuer Film, wann geht es los?« fragte Guido.
»Welcher Film?«
»Dein nächstes Projekt – deswegen bist du doch hier!«
»Das ist noch kein Projekt. Hast
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