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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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entschuldigen. Irgendeine wichtige Sitzung. Wir werden ihn aufsuchen, wenn wir uns einig sind. Haben Sie die Tasche im Wagen?« Wir gingen langsam zurück zum Parkplatz. Wingards Pläne waren durcheinandergeraten; er redete Unsinn: »Ich wollte Sie noch anrufen… hab’ Sie leider nicht erreicht…«
    »Sie hatten mir eine Art Option eingeräumt, Mr. Wingard, eine Woche Bedenkzeit. Nach zwei Tagen waren Sie bereits abgereist, ohne Nachricht, ohne Entschuldigung.« Mit unendlich traurigen Augen sah er mich an. Ich hoffte, die Situation wäre ihm peinlich. Das würde die bevorstehenden Verhandlungen etwas vereinfachen.
    »Ich hätte Sie angerufen, bestimmt, Sie müssen mir das glauben, nach Ablauf dieser Woche hätte ich mich gemeldet. Ich hatte Ihnen das ja zugesichert!«
    »Und inzwischen haben Sie hier mit dem NDR verhandelt. Sie versuchen offenbar, einen gegen den anderen auszuspielen! Aber wir sind hier nicht in den USA. Wenn es ums Geld geht, sind sich unsere Rundfunkanstalten untereinander sehr schnell einig. Wo haben Sie die Tasche?« Er stand immer noch wie festgefroren.
    »Kommen Sie mit, im sechsten Stock ist ein Schneideraum frei. Dort werden wir jetzt gemeinsam und in Ruhe das Material von Roczinski sichten.« Ich ging weiter, er packte mich am Arm:
    »Ansehen? Die Filme? Das kommt nicht in Frage. Sie kennen meinen Standpunkt!« Er zierte sich wie eine alte Jungfer. »Herr Wingard, glauben Sie allen Ernstes, irgend jemand kauft die Katze im Sack? Sie bieten eine Ware an, die niemand sehen darf? Verkaufen Sie so auch Ihre Autos? Haben Sie etwas zu verbergen? Sind das am Ende doch nur Kopien, die Sie da anbieten? Liegen die Originale noch im Labor, in den USA? Vorgestern hat man mir beim ZDF einige Rollen vorgeführt, die Roczinski aus den USA und aus Kanada geschickt hatte. Außerdem existiert ein Gedächtnisprotokoll über jedes Bild, das Roczinskis Kameramann gedreht hat. Vielleicht haben Sie in Ihrer Tasche wirklich nur Dubletten!« Studioarbeiter kamen vorbei. Wingard blickte ihnen nach und flüsterte geheimnisvoll:
    »Ich schwöre Ihnen, das Material ist einmalig. Ich habe das Original. Niemand außer mir hat es je gesehen. Sie müssen mir das glauben!«
    Wie will dieser Mann ein Umkehr-Original von einer Kopie unterscheiden?
    »Ich werde das feststellen. Wenn das Material interessant für uns ist, dann erhalten Sie zweitausend Dollar – dazu Ihre Auslagen für das Flugticket USA hin und zurück, Touristenklasse, plus Spesen für Ihren Aufenthalt in Deutschland, nach den hier üblichen Sätzen. Wenn sich außerdem herausstellen sollte, daß wir aus der Sache einen sendefähigen Film machen können, dann erhalten Sie weitere dreitausend Dollar, und zwar am Tag der Sendung. Das ist dann zusammen mehr, als ein Autor bei uns für ein komplettes Drehbuch erhält, an dem er ein halbes Jahr schreibt!«
     
     
    Wir verhandelten weiter im Wagen, redeten immer im Kreis herum. Dazwischen rief ich noch zweimal in München an. Der Mann war, stur. Von dem konnte man was lernen. Gebrauchtwagen…!
    Kurz vor sieben hatte ich ihn schließlich oben, samt Tasche und Rollen, Schneideraum 46.
    Monika T. die in München schon etliche Filme für mich geschnitten hatte, war vor einigen Jahren hier beim NDR gelandet. Sie hatte den Tisch auf sechzehn Millimeter umgestellt und ein kleines Tonbandgerät besorgt, damit wir die Schmalbänder abhören konnten. Dann war sie diskret verschwunden.
    Wir saßen die ganze Nacht.
    Das Material war unbearbeitet, ungeschnitten. Es war das Original! – Das Bild war stumm, der Ton war auf separaten Rollen, und im Augenblick war es unmöglich festzustellen, wie das alles zusammenpaßte. Auch die Reihenfolge war unklar. Die Schauplätze waren nicht bezeichnet; wir durchblätterten das Tagebuch nach entsprechenden Hinweisen. Nur langsam kam ein gewisser Sinn in das Chaos. Als wir das Gebäude verließen, wurde es hell. Wir waren uns einig: Ich hatte die Tasche mit dem Material, Wingard hatte das Geld, das noch am späten Nachmittag telegrafisch aus München überwiesen worden war. Am Parkplatz erhielt er noch eine handschriftliche Vereinbarung. Der Abschied war kurz.
    Mit seinem gemieteten Wagen verschwand Mr. Wingard fürs erste aus dieser Geschichte.
    Ob das Material in dieser Tasche tatsächlich eine Bombe war, das mußte sich erst noch erweisen. Aber in einem Punkt hatte er recht. Nach all dem, was ich in dieser Nacht gesehen, gehört und gelesen hatte, war an ruhigen Schlaf für die

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