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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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meditiert, hat die Augen geschlossen. Die Kamera umkreist ihn – einmal, zweimal. Roczinski öffnet die Augen, ein irritierter Blick, eine abweisende Handbewegung. Noch einmal umkreist ihn die Kamera.
    Das Tonband läuft. Auf dem Gerät steht die Kristallpyramide. Aus dem Lautsprecher kreischt das unirdische Signal, das Roczinski im Fernsehladen von Frank Nichols aufgenommen hatte, dieses abrupt abreißende Crescendo, darunter der rhythmische Takt. Der Rufer in der Wüste.
    Roczinski verscheucht Callaghean, die Kamera entfernt sich wieder, langsam, unwillig.
    Sand wirbelt hoch von Callagheans Füßen, weht über Roczinski hinweg, legt sich auf Tonbandgerät und Kristallpyramide, auf jenen Spion, der den Unbekannten verraten soll: Hier spielt einer mit eurem Code, gibt euch eure eigenen Signale zurück. Rufer in der Wüste.
    Die Sandwolke hüllt ihn ein, aber Roczinski rührt sich nicht. Auch nicht, als die Polizei erscheint. Schwarzes Leder, weiße Helme. Sie stellen ihre schweren Harley-Davidson-Maschinen neben den geparkten Wagen und blicken mit Ferngläsern herüber. Dann kommen sie.
    Einer geht auf die Kamera zu – einer zu Roczinski. Ein Wink: AUSSCHALTEN! Ein Befehl. Das Bild reißt ab. Die Signale verstummen.
    Als die Kamera wieder läuft, schwingt sich der eine Polizist bereits auf sein Motorrad, der andere gibt Roczinski, der nun neben seinem Wagen steht, die Papiere zurück. Dann fahren sie los, ohne sich umzublicken.
     
    Aus Roczinskis Tagebuch:
     
    25. Oktober, nachts.
    Wir hocken am Straßenrand, zehn Meilen hinter Cadiz. Kein Sprit mehr, kein Bargeld. Ich hoffe, man läßt uns hier in Ruhe.
    Heute morgen nach der Polizeivisite Abflug nach Phoenix/ Arizona – dann mit einem gemieteten Wagen Richtung Kalifornien. Mike hat Freunde in Los Angeles. Habe den Unbekannten in der Wüste ihre eigenen Signale vorgespielt. Der einzige Erfolg: Polizeikontrolle. Meine Arbeitserlaubnis läuft am 31. 10. ab. Wir übernachten jetzt hier im Freien. Das Motel in Cadiz, die mochten meine Kreditkarten nicht. Dummerweise hatten die auch die einzige Tankstelle in der Gegend.
     
    27. Oktober.
    Flugschein nach Frankfurt habe ich in der Tasche. Mit Miami telefoniert. Fernsehen dort hat endgültig kein Interesse an der Sache. Hätte mich auch gewundert.
    Die exponierten Rollen sind in Sicherheit, das restliche Rohmaterial habe ich Mike vermacht, der kann damit wieder einige Underground-Filme drehen. Zum Beispiel diesen:

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    Die neunte Rolle:
    Eine Kaskade bunter Bilder – ohne Zusammenhang, ohne erkennbaren Sinn.
    Die Kamera rast über den Strand mitten hinein in die aufstiebende Brandung. Callaghean filmt vom Rücksitz eines Motorrades aus. Easy-Rider-On-The-Beach.
    Ein großer Strohhut, eine blonde Schönheit, ein kühler, aufreizender Blick – Traumfigur unter buntbedruckter Baumwolle, Minimini.
    Sie kann sich das Lachen nicht länger verkneifen. Der Busen wippt und federt, sie springt, läuft auf und davon, kreuz und quer über den Strand, und die Kamera hinterher. Die schwenkt hinüber zu den Pinien. Dort steht, im Schatten, ein übermütiger Clown, schwarzer mexikanischer Hut, schwarzes Haar, schwarze Augen, die weite schwarze Hose flattert im Wind. Dazwischen, wie ein Signal, eine knallgelbe Bluse. Sie kommt langsam näher, bleibt bei Roczinski stehen. Der liegt im Sand zwischen den Aluminiumkoffern der Kamera-Ausrüstung – aber nun wird er wach.
    Er richtet sich auf, greift nach der Filmkamera, die man ihm hinhält, dreht sich um, richtet sie nun auf den Kameramann selbst, auf Mike Callagheans bärtige, biblische Gestalt. Mike, der Riese, hebt das blonde Mädchen auf seine Schulter, sie hält sich fest an ihrem großen Strohhut, an seiner weißen Jacke, wieder federt alles und wippt unter dem kurzen, buntbedruckten Fähnchen, Mike rennt über den Strand, stürzt sich samt Reiterin ins Wasser, und beide verschwinden in den Wogen des Pazifiks.
    Nur der Sombrero treibt noch auf den Wellen, wird angespült – Strandgut.
    Roczinski steht im Wasser bis zur Hüfte, im Anzug, Khaki-Dreß. Die Kamera in den hocherhobenen Händen, um sie vor Salzwasser zu schützen, erwartet er das Auftauchen des bärtigen Propheten: Jonas, ausgespien vom Walfisch am Strand von Ninive, trägt seine erschöpfte Gespielin an Land. Das buntbedruckte Baumwollfähnchen klebt ihr am Leib. Sie zerrt daran, zieht an irgendwelchen Verschlüssen, schält sich heraus, langsam, die braunen Schenkel, ein roter Minislip, schmale Hüften,

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