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Die Delegation

Die Delegation

Titel: Die Delegation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Erler
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Botschaft unter die Barbaren bringen.

57
     
     
     
    Anflug auf Los Angeles International Airport. Dämmerung. Links die Berge – rechts die Stadt – die Stadt – die Stadt. Unsere Boeing schwebt darüber hin – sie kreist nicht, sie sucht in direktem Anflug ihr Ziel. Den Anfang habe ich versäumt, übersehen – aber nun nimmt diese Stadt unter uns kein Ende. Fünfzehn Minuten, zwanzig, fünfundzwanzig. Fünfundzwanzig Flugminuten mit einer Boeing – und keine Lücke gelassen in dieser mißgestalteten Urbanität, kein freier Platz, keine Atempause in dieser Verbauung, keine grüne Lunge, kein vergessenes Weideland – alles dicht an dicht, millionenfacher Traum vom eigenen Heim, mißverstandener, fehlgeleiteter Urtrieb des Homo sapiens, Sehnsucht nach Sicherheit im eigenen Territorium, und sei’s noch so klein. Was denken sich die Herren vom anderen Stern, wenn sie – wie wir – darüber hinfliegen?
    Sind das da unten wirklich schon intelligente Wesen? Nein – doch keine Insekten! Ich habe mich getäuscht! Termiten leben sinnvoller! Denn Insekten sind dreihundertneunundneunzig Millionen Jahre älter als wir.
    Wir sind nur eine sogenannte ›junge‹, eine infantile Zivilisation, eben noch war Steinzeit, wurde das Feuer entdeckt. Lohnt es sichmit uns Kontakt aufzunehmen? Entweder verehren wir sie dann wie Götter… Immer noch die Stadt unter uns – rush-hour – die Straßen sind verstopft, sie laufen quer zu unserer Flugrichtung. Es wird rasch dunkel, ein Meer von roten Punkten glüht auf – Bremslichter!
    Sicher, auch diese Stadt findet Grenzen, links Berge und Wüste und drüben rechts, irgendwo im Westen, der Pazifik. Der Smog nimmt die Sicht. Hier war Roczinski drei Tage lang glücklich.
    Wingard und seinen Abschleppdienst hatte ich unterschätzt. Ein Haus bei Santa Ana, natürlich mit Swimming-pool, ein Innenhof im spanischen Stil, Personal – nicht weit davon drei Schrottplätze. Im Augenblick über zehntausend Autowracks auf Lager, Schrottpresse, Gleisanschluß, sechs Abschleppwagen ständig unterwegs.
    Das lief alles so gut, daß er sich nicht mehr so recht dafür interessierte. Sein Hobby waren die Gebrauchtwagen. Er handelte selbst mit den Kunden, lobte seine Ware, machte Probefahrten, drückte die Preise der Zulieferer, das empfand er alles noch unmittelbar als persönlichen Erfolg. Oder als persönliche Niederlage, wenn ihn einer aufs Kreuz gelegt hatte, mit ungedeckten Schecks zum Beispiel oder mit gesperrten Kreditkarten – wie damals Roczinski.
    Wingard fuhr uns selbst zur Unglücksstelle am San Diego Freeway. Die Brücke überspannte das Tal in vielleicht fünfzehn Meter Höhe. Das Stahlgeländer mit Leitplanke hatte Roczinski durchbrochen.
    Er war allein im Wagen gewesen, damals am 11. November. Und hier unten hatte also das Autowrack gelegen, hier waren die sterblichen Reste Roczinskis in einer Zinkwanne geborgen worden. Die Polizei war von Long Beach herübergekommen, das lag näher. Wingards Abschleppdienst hatte die Trümmer des Wagens geholt.
    Aber Wingard selbst hat erst zwei Tage später davon erfahren. Es war Zufall. Er hat das Wrack wiedererkannt, das auf dem Schrottplatz herumstand. Hätte es die Polizei früher freigegeben, dann wäre es bereits in der Schrottpresse gelandet – samt Roczinskis Tasche mit den Filmen. Auf der Rückfahrt demonstrierte Wingard sein neues Autotelefon. Die Show war für uns. Ich glaube nicht, daß diese Telefonate so unaufschiebbar wichtig waren. Er mußte jedes Gespräch über San Diego anmelden, dort war sein Apparat registriert. Los Angeles hatte keine Nummern mehr frei. Er lobte die Vorzüge seines Wagens, bis ich ihm sagte, wir würden ihn nicht kaufen, hätten keinen Bedarf. Aber er lobte ihn, weil er neu war und ›great‹, und weil er ihn liebte. Leider habe ich keine so rechte Beziehung zum Automobil als Statussymbol. Ich finde zum Beispiel die Hierarchie von Mercedes-Dienstwagen einfach lächerlich, diese blechgewordene Hackordnung. Und hier in den USA fehlt mir das simpelste Unterscheidungsvermögen für Marken, Jahrgänge und Klassen – ehrlich gesagt, sogar für Farben. Ich sehe nur noch Uniformität. Denn in dieser Flut von Individualität geht das Individuum unter. Das war ganz und gar kein Thema für den ›Pferdehändler‹ Wingard. Und auch was den. Fall Roczinski betraf, konnte ich ihm keine neuen Sensationen bieten. »Aber eine Frage, Mister Wingard, ganz persönlich und ein wenig indiskret: Nach allem, was ich hier bei

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