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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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ergab keinen Sinn. Vermutlich träumte sie nur.
    »Wer ist mein Onkel?«, fragte sie.
    »Henri II., von Gottes Gnaden König von England, Herzog von Aquitanien und der Normandie, Graf von Anjou«, kam es sogleich zurück. Marie konnte nicht verhindern, dass ein leises Lachen aus ihrer Kehle drang.

    »Und wer seid Ihr? Der Heilige Geist?«
    Die apfelglatte Miene blieb unbewegt.
    »Mein Name ist Guy de Osteilli. Ritter des Königs«, meinte er mit einem leichten Nicken, als wolle er die bisher versäumte Begrüßung nachholen. »Ich würde Euch bitten, Eure Habseligkeiten schnell einzusammeln, Demoiselle. In Saint Denis werden wir eine angemessene Herberge finden.«
    Die zackigen Umrisse des Waldes drehten sich um Marie. All dies kam so schnell, so unerwartet.
    »Weshalb wünscht mein Onkel, mich zu sehen?«, murmelte sie. »All die Jahre, da wollte niemand etwas von mir wissen. Woher weiß er denn überhaupt, dass es mich gibt?«
    Der Fremde schüttelte ungeduldig den Kopf.
    »All dies werdet Ihr erfahren, wenn wir am Hof des Königs sind. Der Name Eures Vaters war Geoffroy d’Anjou, wie Euch vielleicht bekannt ist. Er ist der verstorbene Bruder des englischen Königs. Lange kämpften beide Brüder gegeneinander um die Macht in Anjou, und Henri gewann immer wieder, so wie er eben gegen alle Menschen gewinnt. Nun, da sein Bruder gestorben ist, stellte er wohl plötzlich fest, dass er dennoch eine gewisse Zuneigung für ihn empfand oder das Gewissen begann ihn zu plagen. Jedenfalls seid ihr das einzige bekannte Kind des toten Geoffroy. Henri wünscht, Euch an seinen Hof zu holen, auch wenn Ihr als illegitime Tochter natürlich keinerlei Erbansprüche besitzt. Ich bitte Euch, mir zu folgen. Es ist der Wunsch eines Königs, versteht Ihr?«
    Schon meldete sich der Widerspruchsgeist, den Guillaume ihr vermittelt hatte, in Marie. Dann aber atmete sie tief durch, um ihre Gedanken zu ordnen. Sie konnte sich weigern, doch wo fände sie Unterstützung? Und welches Leben stand ihr bevor, wenn sie dieses Angebot trotzig ausschlug? Trotzdem sträubte sich alles in ihr, Huguet und seine Einwohner so plötzlich zu verlassen.

    »Kann ich mich von den Leuten im Dorf verabschieden?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Sie wollte wenigstens mit Pierre sprechen.
    Gequält verzog Guy de Osteilli das Gesicht, aber er nickte und betrat schicksalsergeben die Ruine.
     
    Der Tag zog rasend schnell an Marie vorbei. Sie bemerkte die missbilligende Miene des Pfarrers, der allerdings keine Einwände gegen ihr Fortgehen hatte, sondern sie lediglich ermahnte, niemals die Demut vor Gott dem Herrn zu vergessen. Ansonsten begegnete Marie staunenden, etwas feindseligen Blicken, die ihr das Gefühl gaben, man würde sie nach ihrem Fortgehen nicht allzu sehr vermissen. Die einzige Ausnahme war Pierre. Als sie im Begriff war, wieder in ihr Heim zurückzukehren, nutzte er die kurze Abwesenheit seiner Eltern, um sie am Ärmel zu packen und ihr rasch ins Ohr zu flüstern, sie könnten sich nach Einbruch der Dämmerung am Waldrand bei der Ruine treffen. Marie kannte die Stelle. Sie war dort manchmal mit den Dorfkindern gesessen und hatte ihnen Geschichten erzählt.
    Guy de Osteilli schien entschlossen, die Nacht in der Ruine mit Gleichmut hinter sich zu bringen. Zusammen mit Marie verspeiste er ein großes Stück Schinken, das er mitgebracht hatte. Von seinem Geld hatte sie auch einen frischen Laib Brot und einen Schlauch Wein im Dorf erstanden, sodass dieses Mahl weniger karg ausfiel als befürchtet. Danach zeigte sie dem Ritter Guillaumes Schlafstätte. Er seufzte tief und murmelte dann, dass er sich sogleich niederlegen wolle, denn am nächsten Tag würden sie früh aufbrechen. Er nahm den Schlauch Wein mit und auch die Kerze, vermutlich, um sich in den Schlaf zu trinken. Dann forderte er Marie auf, seinem Beispiel zu folgen und sich noch einmal gründlich auszuruhen.

    »Uns steht ein harter Tag bevor, Demoiselle. Seid Ihr schon einmal geritten?«
    Sie nickte, verschwieg aber, dass es nur ein Maulesel gewesen war, auf dem sie eine Runde über den Dorfplatz gedreht hatte.
    »Nun, dann wisst Ihr vermutlich, dass es auf Dauer durchaus anstrengend ist«, entgegnete der Ritter mit einem leicht spöttischen Lächeln. Er musste ihre kleine Lüge durchschaut haben, was den Wunsch in ihr weckte, ein paar Striemen auf sein glattes, eingebildetes Gesicht zu kratzen.
    »Ich wünsche Euch eine angenehme Nachtruhe«, sagte sie nur und wartete eine Weile, nachdem die

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