Die Dichterin von Aquitanien
erspare.«
Empört fuhr Marie zusammen. Nun würde Pierre sicher aufspringen und dem Fremden erklären, dass er sie heiraten wolle. Sie konnte gleich hinzufügen, dies sei auch ihr
Wunsch. Guy de Osteilli mochte toben und drohen, gar sein Schwert gegen sie erheben, das er mitgebracht hatte. Sie mussten gemeinsam in den Wald laufen, der ihnen vertraut war. Der Ritter mit seinen schweren Stiefeln käme nicht so schnell voran und wäre deutlich zu hören. Ein gutes Versteck konnten sie sicher entdecken, dann einen günstigen Moment abwarten, um Cleopatra zu holen. Danach würden sie weitersehen, ob eine Zukunft in Huguet nach dem Verschwinden des Ritters möglich war oder wie sie sich anderweitig durchschlagen konnten. Sie hatte Pierre nicht von seinen Eltern trennen wollen, doch falls er sich selbst dazu entschied, wäre sie glücklich, ihm so wichtig zu sein. Angespannt wartete sie darauf, dass Pierre die richtigen Worte sprach.
Doch sie sah ihn langsam aufstehen und mit gesenktem Blick davonschleichen wie einen geschlagenen Hund.
»Pierre«, rief sie ihm hinterher. Er wandte kurz den Kopf. Die Trauer in seinen Augen schien ein endgültiger Abschied, bevor das Dunkel ihn verschluckte.
»Nun kommt schon, Demoiselle Marie«, meinte Guy de Osteilli, als er sie an der Schulter packte und in die Höhe zog. »Ich bin im richtigen Moment eingeschritten. Ihr seid die Nichte eines Königs und kein netter Zeitvertreib für einen Bauerntrampel. Jetzt folgt mir bitte in diese entsetzliche, modrige Ruine, und morgen brechen wir früh auf, bevor noch mehr Unheil geschieht.«
Sein Griff war eisern. Marie zappelte kurz, doch dann erkannte sie die Hilflosigkeit ihrer Lage und ließ sich wie ein Sack in das vertraute Heim schleppen.
»Ich bedaure, Euch hart angepackt zu haben, Demoiselle«, meinte Guy de Osteilli, nachdem er die Tür von innen verrammelt hatte. »Doch das hitzige Blut der Jugend lässt Damen manchmal Fehler begehen, die sie später bitterlich
bereuen. Ich bin mir sicher, seine Hoheit der König hat Besseres für Euch im Auge als einen kleinen Bauernsohn.«
»Aber vielleicht möchte ich nichts Besseres«, schnaubte Marie. Auf einmal wollte sie nur kratzen, beißen und um sich schlagen. Der Ritter schien dies zu spüren, denn er trat einen Schritt zurück. Sie begriff zunächst nicht weshalb, denn es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, mit einem trotzigen Mädchen fertigzuwerden. Es musste tatsächlich daran liegen, dass sie die Nichte eines Königs war.
»Nun, Demoiselle«, sagte er lächelnd, während er sein Schwert ablegte und seinen Becher nochmals mit Wein füllte. »Ihr seid vielleicht in heißer Liebe entbrannt. Doch mir scheint, dieser Bursche hat mehr Verstand im Kopf. Er versuchte gar nicht, um Euch zu kämpfen.«
Marie fuhr zusammen, denn diese Worte stachen tief in eine offene Wunde. Aber was hätte Pierre gegen einen kampferprobten, bewaffneten Mann schon ausrichten können? Vermutlich wartete er auf einen günstigen Moment, um sie zu holen. Sie würde sich einfach in ihrer Kammer auf die Matte legen und warten. Sicher käme er noch heute Nacht zurück, um einen kleinen Stein gegen das Leder an ihrer Fensteröffnung zu werfen. Wenn Guy de Osteilli endlich angetrunken eingeschlafen war, konnte sie mit Pierre besprechen, wie sie sich gemeinsam davonstehlen würden.
4. Kapitel
D ie ganze Nacht starrte Marie in die Finsternis und wartete auf ein leises, aber eindeutiges Geräusch, ein Zeichen, dass Pierre nicht bereit war, sie gehen zu lassen. Doch nur die Laute des nächtlichen Waldes drangen gedämpft an ihr Ohr. Allmählich schwand alle Hoffnung, Guillaumes letzten Wunsch zu erfüllen, der nun auch ihr eigener geworden war. Wie sollte sie Pierre heiraten, wenn er nicht um sie kämpfen wollte? Eine Weile erwog sie, sich nur mit Cleopatra davonzuschleichen, um ihren Traum von einem Leben als herumziehende Dichterin zu verwirklichen. Es widerstrebte ihr, von Guy de Osteilli wie ein lebloses Bündel mitgeschleppt zu werden, doch musste sie feststellen, dass ihr wieder einmal der Mut zu schwinden begann. Sie erinnerte sich an die Geschichte des Pfarrers über ein unartiges Mädchen, das aus seinem Elternhaus geflohen war, nur um von Räubern im Wald geschändet zu werden. Die Vorstellung, völlig mittellos und einsam durch unbekanntes Gelände zu ziehen, löste plötzlich unüberwindliche Furcht aus. Als die Morgendämmerung das Dunkel der Nacht verdrängte, zwang sich Marie aufzustehen, obwohl ihr
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